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Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

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Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt (Dortmund)<br />

Gegen weitere Entschärfung der Provokation <strong>Nietzsche</strong> *<br />

Wahrlich mit Donnerkeilen muss man drein schlagen,<br />

sonst wird’s nimmermehr anders.<br />

Donnerkeil in die Zeit geschmettert von Omikron [= Ernst Ortlepp].<br />

Leipzig, 1824, S. 9.<br />

Nach weitverbreiteter Meinung ist <strong>Friedrich</strong><br />

<strong>Nietzsche</strong> einer der konsequenzenreichsten,<br />

provozierendsten und irritierendsten<br />

Philosophen, Schriftsteller, Lyriker<br />

und Querdenker der vergangenen<br />

Jahrhunderte. Berücksichtigt man Zahl<br />

und Auflage gegenwärtig lieferbarer<br />

<strong>Nietzsche</strong>ausgaben und vergleicht man sie<br />

mit den Veröffentlichungen anderer philosophischer<br />

Autoren, so drängt sich der<br />

Eindruck auf, <strong>Nietzsche</strong>texte würden <strong>zum</strong>indest<br />

hierzulande häufiger gedruckt,<br />

verkauft und vielleicht sogar gelesen als<br />

Texte wohl jedes anderen renommierten<br />

philosophischen Autors von Kant und<br />

Hegel bis zu Heidegger und Sartre.<br />

Damit freilich nicht genug, denn so groß<br />

auch die Zahl ausgedruckter <strong>Nietzsche</strong>texte,<br />

so reichhaltig und bunt der Interpretationsmarkt.<br />

Unterscheiden sich doch<br />

die Schriften auch renommierterer Interpreten<br />

über <strong>Nietzsche</strong> oder ein <strong>Nietzsche</strong>thema<br />

selbst in ihren Ergebnissen in nahezu<br />

jeder Hinsicht: eine <strong>zum</strong>indest aufschlußreiche,<br />

wenn nicht ärgerliche, Wissenschaftlichkeitsansprüche<br />

von <strong>Nietzsche</strong>interpretationen<br />

problematisierende<br />

Konstellation? Könnte diese nicht zuletzt<br />

damit zusammenhängen, daß nach meinem<br />

Eindruck zahlreiche – also keineswegs:<br />

alle – <strong>Nietzsche</strong>interpretationen <strong>zum</strong>indest<br />

bis in die jüngere Vergangenheit<br />

entwicklungsblind, textflüchtig oder sogar<br />

weltanschaulich imprägniert, in ihrem<br />

Effekt die Provokation <strong>Nietzsche</strong> also<br />

unfreiwillig oder auch absichtlich entschärfend<br />

bzw. ‘entnietzschend’ 1 waren?<br />

Und entspricht es nicht den so wohltemperierten<br />

Tönen eines vom Faschismusvorwurf<br />

offenbar noch immer so verschreckten<br />

mitteleuropäischen akademischen<br />

<strong>Nietzsche</strong>interpretationsmainstreams,<br />

daß eine Okkupation von <strong>Nietzsche</strong>interpretation<br />

durch religionsphilosophisch<br />

oder <strong>zum</strong>indest theologisch brisante<br />

Themen kunstvoll ausklammernde,<br />

entschärfende oder sie depotenzierende<br />

Interpreten noch nicht entdeckt oder im<br />

Sinne eines vermeintlich kleineren Übels<br />

toleriert, auf keinen Fall freilich thematisiert<br />

oder gar kritisch analysiert wird? Bildet<br />

die vor mittlerweile vier Jahrzehnten<br />

bezeichnenderweise in eine Anmerkung<br />

verbannte Feststellung von Gerd-Günther<br />

Grau, „viele Arbeiten“ <strong>zum</strong>indest „über<br />

das Religionsproblem“ bei <strong>Nietzsche</strong> wiesen<br />

sich „(implizit oder explizit) durch ein<br />

kirchliches Imprimatur aus“ 2 , nicht noch<br />

immer einen fast unerhörten und m. W.<br />

nirgendwo berücksichtigten, geschweige<br />

denn ernst genommenen oder gar in seinen<br />

Konsequenzen diskutierten ‘Ausreißer’?<br />

Hat sich nach dem offenbar attraktiven<br />

Modell einer ‘Theologie ohne Gott’ längst<br />

eine Art unerklärter ‘<strong>Nietzsche</strong>interpretation<br />

notfalls auch ohne <strong>Friedrich</strong> <strong>Nietzsche</strong>’<br />

eingeschliffen?<br />

Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000 87

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