14.11.2013 Aufrufe

Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Zuletzt möchte ich diese oft zitierte – allerdings,<br />

wie gerade gehört, nicht ganz<br />

ernstgemeinte – Gegenüberstellung von<br />

Bizet und Wagner zur Eigenlektüre empfehlen;<br />

denn in der Schrift Der Fall Wagner<br />

verbindet <strong>Nietzsche</strong> auf seine unnachahmliche<br />

Weise Musikkritik und Interpretation,<br />

philosophische Aussagen und Geschmacksurteile<br />

mit hinreißender Polemik.<br />

Hier beschränke ich mich <strong>zum</strong> Abschluß<br />

auf einen kurzen Ausschnitt von<br />

deren Nachschrift: 36<br />

Die Musik als Circe... Sein [Wagners]<br />

letztes Werk ist hierin sein größtes Meisterstück.<br />

Der Parsifal wird in der Kunst<br />

der Verführung ewig seinen Rang behalten,<br />

als der Geniestreich der Verführung...<br />

Ich bewundere dies Werk, ich<br />

möchte es selbst gemacht haben; in Ermangelung<br />

davon verstehe ich es...<br />

Wagner war nie besser inspiriert als am<br />

Ende. Das Raffinement im Bündnis von<br />

Schönheit und Krankheit geht hier so<br />

weit, daß es über Wagners frühere<br />

Kunst gleichsam Schatten legt – sie erscheint<br />

zu hell, zu gesund. Versteht ihr<br />

das? Die Gesundheit, die Helligkeit als<br />

Schatten wirkend? als Einwand beinahe?...<br />

So weit sind wir schon reine Toren...<br />

Niemals gab es einen größeren<br />

Meister in dumpfen, hieratischen Wohlgerüchen<br />

– nie lebte ein gleicher Kenner<br />

alles kleinen Unendlichen, alles Zitternden<br />

und Überschwänglichen, aller<br />

Feminismen aus dem Idiotikon des<br />

Glücks! – Trinkt nur, meine Freunde,<br />

die Philtren dieser Kunst! Ihr findet nirgends<br />

eine angenehmere Art, euren<br />

Geist zu entnerven, eure Männlichkeit<br />

unter einem Rosengebüsche zu vergessen...<br />

Ah dieser alte Zauberer! Dieser<br />

Klingsor aller Klingsore! Wie er uns<br />

damit den Krieg macht! uns, den freien<br />

Geistern! Wie er jeder Feigheit der modernen<br />

Seele mit Zaubermädchen-Tönen<br />

zu willen redet! – Es gab nie einen<br />

solchen Todhaß auf die Erkenntnis! –<br />

Man muß Zyniker sein, um hier nicht<br />

verführt zu werden, man muß beißen<br />

können, um hier nicht anzubeten. Wohlan,<br />

alter Verführer! Der Zyniker warnt<br />

dich – cave canem...<br />

Anmerkungen:<br />

1<br />

Der Text wurde als Vortrag <strong>zum</strong> <strong>Nietzsche</strong>-<br />

Seminar der GKP in Kottenheide im September<br />

2000 erstellt; die angesprochenen Musikbeispiele<br />

können im Internet auf der <strong>Nietzsche</strong>-Seite<br />

des Verf. unter www.f-nietzsche.de heruntergeladen<br />

werden.<br />

2<br />

Nachdenkenswert die Überlegung von Bertram:<br />

„<strong>Nietzsche</strong> [ist] ganz und gar der Enkel der<br />

lutherischen Reformation, welche ... dem deutschen<br />

Menschen die heitere Augenfreudigkeit<br />

seines Mittelalters geraubt hat und ihn da<strong>für</strong> mit<br />

dem Heimweh des Ohres, dem unstillbaren und<br />

jenseitigen Durst nach Musik beschenkte.“ aus:<br />

Ernst Bertram, <strong>Nietzsche</strong> – Versuch einer Mythologie,<br />

Erstauflage 1918, 10. Auflage 1989,<br />

S. 51<br />

Thomas Mann, der mit Bertram befreundet war,<br />

sagte noch 1948 (!) zu diesem Buch: „Es wird<br />

wieder aufgelegt werden, noch oft, und immer<br />

bewundert werden. Es erträgt das Licht jedes<br />

Tages ...“ Er sollte Recht behalten – jedenfalls<br />

bis heute.<br />

3<br />

zitiert nach Bertram, <strong>Nietzsche</strong>, S. 113<br />

4<br />

„Das Leben ohne Musik ist einfach ein Irrtum,<br />

eine Strapaze, ein Exil.“ – an Gast 1888<br />

(zitiert nach Bertram, <strong>Nietzsche</strong>, S. 130)<br />

5<br />

Werner Ross, Der ängstliche Adler, <strong>Friedrich</strong><br />

<strong>Nietzsche</strong>s Leben, Deutsche Verlagsanstalt,<br />

Stuttgart 1980, S. 404<br />

6<br />

Schlechta, F. N. Werke IV, Briefe S. 603<br />

7<br />

An Gustav Krug aus Basel, 13. Nov. 71<br />

(Schlechta, F. N. Werke IV, Briefe S. 639):<br />

... Inzwischen ist ein sonderbares Opus fertig<br />

geworden, gleichsam aus der Luft gefallen. Das<br />

64 Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!