Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...
Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...
Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Helmut Walther (Nürnberg)<br />
<strong>Nietzsche</strong> als Komponist<br />
Lassen wir uns von <strong>Nietzsche</strong> selbst auf<br />
das heutige Thema einstimmen 1 – mit einem<br />
Ausschnitt seines Hymnus an die<br />
Freundschaft, einer Komposition <strong>für</strong> Klavier<br />
zu 4 Händen, dargeboten von Aribert<br />
Reimann und Dietrich Fischer-Dieskau;<br />
es handelt sich hier wie bei den späteren<br />
Beispielen um den Originalmitschnitt eines<br />
Konzertes von 1981, der dem Verfasser<br />
auf schriftliches Ersuchen hin von Fischer-Dieskau<br />
freundlicherweise zugesandt<br />
wurde.<br />
Dieser Hymnus ist die letzte eigentliche<br />
Komposition <strong>Nietzsche</strong>s, entstanden in<br />
den Jahren 1872-1875, später noch verschiedentlich<br />
umgearbeitet, wie wir sehen<br />
werden, wohl erstanden aus der Freundschaft<br />
mit Franz Overbeck, mit dem er,<br />
solange sie in Basel zusammen in der<br />
„Baumannshöhle“ wohnten, das vierhändige<br />
Klavierspiel gepflegt hatte.<br />
Bereits als 14-Jähriger notiert <strong>Nietzsche</strong><br />
1858:<br />
„Gott hat uns die Musik gegeben, damit<br />
wir erstens, durch sie nach oben<br />
geleitet werden. Die Musik vereint alle<br />
Eigenschaften in sich, sie kann erheben,<br />
sie kann tändeln, sie kann uns aufheitern,<br />
ja sie vermag mit ihren sanften,<br />
wehmütigen Tönen das roheste Gemüt<br />
zu brechen. Aber ihre Hauptbestimmung<br />
ist, daß sie unsre Gedanken<br />
auf Höheres leitet, daß sie uns erhebt,<br />
sogar erschüttert. ... Auch gewährt die<br />
Musik eine angenehme Unterhaltung<br />
und bewahrt jeden, der sich da<strong>für</strong> interessiert,<br />
vor Langeweile. Man muß<br />
alle Menschen, die sie verachten, als<br />
geistlose, den Tieren ähnliche Geschöpfe<br />
betrachten. Immer sei diese herrlichste<br />
Gabe Gottes meine Begleiterin auf<br />
meinem Lebenswege und ich kann<br />
mich glücklich preisen, sie liebgewonnen<br />
zu haben. Ewig Dank sei Gott von<br />
uns gesungen, der diesen schönen Genuß<br />
uns darbietet!“<br />
Man sieht, bereits der Knabe hat ein sehr<br />
inniges Verhältnis zur Musik; bei seiner<br />
Abstammung aus einem evangelischen<br />
Pfarrhaus naheliegend 2 , interessiert er sich<br />
<strong>für</strong> geistliche Musik, dabei spielt er recht<br />
gut Klavier und komponiert, neben Oratorien<br />
vor allem Lieder, etwa nach Texten<br />
von Klaus Grothe und dem ungarischen<br />
Dichter Sándor Petöfi, aber auch nach<br />
Puschkin und Hoffmann von Fallersleben.<br />
Das Komponieren eignet er sich als Autodidakt<br />
an, sich dabei auf Albrechtsberger<br />
stützend, der einst der Lehrer Beethovens<br />
war. Gerne widmet er seine Kompositionen<br />
Verwandten zu Festtagen, so etwa<br />
1862 das Lied Da geht ein Bach nach einem<br />
Text von Klaus Groth, das er in<br />
Naumburg seiner Tante Rosalie zugeeignet<br />
hat.<br />
Bereits seit einem Alter von 14 Jahre an<br />
verfaßt er immer wieder neu sich Rechenschaft<br />
gebend – oft etwas altkluge –<br />
„Lebensrückblicke“ samt „Werkkatalogen“,<br />
wo er penibel seine Dichtungen und<br />
Kompositionen aufführt, 1858 bereits<br />
etwa 46 Einzelnummern. 1862 plant er gar<br />
eine Ermanarichsinfonie (nach dem Vorbild<br />
der Lisztschen sinfonischen Dichtung<br />
Hungaria), auf dem Klavier spielt er unter<br />
vielem anderen vor allem Beethoven-<br />
52 Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000