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Forschung & Lehre 8 | 2013

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612 SICHERHEIT STATT FREIHEIT? <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> 8|13<br />

„ Alle wollen ja nur unser Bestes“<br />

Über Beobachter der Beobachter, Freiheit und Sicherheit<br />

| JOCHEN H ÖRISCH | Die Enthüllungen des US-Amerikaners<br />

Edward Snowden über die Abhörmaßnahmen der amerikanischen und<br />

britischen Geheimdienste haben Politik und Öffentlichkeit in Deutschland<br />

irritiert. Was bedeuten sie medientheoretisch? Gibt es einen anthropologischen<br />

Hintersinn?<br />

<strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong>: Die Welt ist voller<br />

Beobachter: Die amerikanischen und<br />

britischen Geheimdienste überwachen<br />

die Welt, sie werden von anderen Geheimdiensten<br />

beobachtet, von „Whistleblowern“<br />

entlarvt, von der Presse beobachtet,<br />

die wiederum wir beobachten.<br />

Was geschieht da?<br />

Jochen Hörisch ist Professor für Neuere<br />

deutsche Literatur und Medienanalyse an<br />

der Universität Mannheim.<br />

Jochen Hörisch: Etwas Eigentümliches,<br />

gewissermaßen die mediale Säkularisierung<br />

eines theologischen Modells. Der<br />

monotheistische Gott wurde traditionell<br />

als Letztbeobachter konzipiert, er<br />

sieht alles („wie unfein“, bemerkte<br />

Nietzsche), lässt sich selbst aber nur bedingt<br />

in die Karten schauen. Theologen<br />

beobachten jedoch seit jeher den Letztbeobachter<br />

Gott, sind also die eigentlich<br />

unfrommen bis satanisch-hybriden<br />

Frevler. Sie zeigen (paradox = religionskritisch),<br />

dass es keinen finalen, seinerseits<br />

unbeobachtbaren Letztbeobachter<br />

gibt. Geheimdienste beobachten alles<br />

und müssen damit rechnen, dass sie ihrerseits<br />

besonders aufmerksam beobachtet<br />

werden (sei es von anderen Geheimdiensten,<br />

Filmregisseuren, Romane<br />

schreibenden Ex-Geheimdienstlern,<br />

kritischen Journalisten etc.). Diese Entwicklung<br />

folgt einem medienhistorischen<br />

Großtrend, von dem Dürrenmatts<br />

Roman „Der Auftrag oder Vom<br />

Beobachten des Beobachters der Beobachter“<br />

erzählt hat: der zunehmenden<br />

Symmetrisierung und Paradoxierung<br />

von Beobachtungsverhältnissen.<br />

F&L: Jeder Beobachter hat einen „blinden<br />

Fleck“. Können Sie einen solchen<br />

benennen?<br />

Jochen Hörisch: Der ist leicht zu benennen,<br />

und dennoch streift diese Benennung<br />

ein Tabu. Sie verletzt nämlich.<br />

Denn es gibt nur drei Möglichkeiten –<br />

erstens: diejenigen, die sich jetzt empört<br />

zeigen, waren nicht die hellsten, aufmerksamsten,<br />

kritischsten Köpfe. Ich<br />

akzeptiere den Vorwurf, arrogant zu<br />

sein, wenn ich sage: mich haben die<br />

Enthüllungen der letzten Zeit nicht verblüfft,<br />

wohl aber die allgemeine Verblüffung<br />

darüber. Zweite Möglichkeit: viele<br />

unter denen, die jetzt als uninformierte<br />

und verblüffte Nichtdurchblicker dastehen,<br />

die genau diese ihre Negativqualität<br />

unbeobachtet und unkommentiert<br />

lassen wollen und die nun ihre Kränkung<br />

durch Empörung kompensieren,<br />

blickten doch durch und machten sich<br />

keine Illusionen, haben aber stillgehalten,<br />

nicht recherchiert oder ihrerseits<br />

nichts gesagt – auch keine gute Option.<br />

Was ist die dritte Möglichkeit? Der blinde<br />

Fleck in meiner Beobachtung!<br />

F&L: Ist es nicht beruhigend zu wissen,<br />

wenn jemand darauf achtet, dass –<br />

kindlich gesprochen – uns „nichts Böses<br />

geschieht“? Wollen wir also geradezu<br />

beobachtet werden, um Aufmerksamkeit<br />

und Sicherheit zu erlangen?<br />

Jochen Hörisch: Eindeutig ja! Unser<br />

Leben beginnt mit einem Schrei nach<br />

Aufmerksamkeit. Nicht beachtet und<br />

beobachtet zu werden zählt zum

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