Forschung & Lehre 8 | 2013
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624 SICHERHEIT STATT FREIHEIT? <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> 8|13<br />
permanenter latenter Gefährdung, die,<br />
wenn die erwähnten Studien recht haben,<br />
zwar nicht dazu führt, dass wir alle<br />
anderen für potentielle Verbrecher oder<br />
Terroristen halten, aber doch dazu, dass<br />
der öffentliche Raum (und nun auch zunehmend<br />
der private Raum) als Quelle<br />
der Gefahr gleichsam einen anderen<br />
emotionalen Anstrich erhält. „Warum<br />
steht dieser Koffer da allein?“, „Sieht<br />
der Mann dort nicht wie ein Islamist<br />
aus?“ – das, was Sicherheitsempfinden<br />
ausmacht, sind oft kleine Details, die<br />
unter dem Eindruck eines niedrigschwelligen<br />
Sicherheitsempfindens<br />
leicht aufgebläht werden. Es könnte<br />
sein, dass moderne Sicherheitstechniken<br />
gerade aufgrund ihres oft versteckten<br />
Charakters zu einer solchen Atmosphäre<br />
latenter Bedrohung beitragen, so<br />
dass man zwischen einem (scheinbar<br />
wachsenden) Oberflächenvertrauen<br />
und einem (zunehmend weniger vorhandenen)<br />
Tiefenvertrauen sprechen<br />
kann. Geht damit etwas verloren? Wir<br />
reden oft von der Verletzung von Rechten<br />
auf Privatheit durch einen allzu<br />
überwachungsfreudigen Staat, aber was<br />
eben etwas unbeholfen beschrieben<br />
wurde, erfasst etwas anderes, nämlich<br />
die lebensweltlich-atmosphärische Basis<br />
der überraschend breiten Akeztpanz<br />
dieser Überwachung. Wie können wir<br />
diesen Verlust des basalen Sicherheitsempfindens<br />
problematisieren? In der<br />
Sprache der Rechte? Wohl kaum. Die<br />
Philosophie muss hier, so die Vermu-<br />
»Ich bin schon unfrei, wenn ich<br />
nicht davon ausgehen kann,<br />
unbeobachtet oder allein zu sein.«<br />
tung, eine kritische Sprache noch finden<br />
und sich der empirischen Sicherheitsforschung<br />
und sicherlich auch der<br />
Medienforschung noch stärker öffnen.<br />
Das Vertrauen der Bürger zu<br />
sich selbst<br />
Wie steht es um das Vertrauen der Bürger<br />
zu sich selbst, das Vertrauen in ihre<br />
eigenen Urteilskraft? Dieser Punkt ist<br />
im Zusammenhang mit Locke schon<br />
angesprochen worden. Unter normalen<br />
Umständen haben wir die Möglichkeit,<br />
unser Vertrauen daraufhin zu überprüfen,<br />
ob wir es zu Recht oder zu Unrecht<br />
gegeben haben. Wir sehen uns als Quelle<br />
des Vertrauensaktes in dem Sinne,<br />
das wir sagen können: „Ich hätte wissen<br />
können, dass er nicht vertrauenswürdig<br />
»Terror zerstört das Metavertrauen<br />
in uns selbst.«<br />
ist“ oder „Warum habe ich nicht ihr vertraut?“<br />
Durch einzelne Vertrauensakte<br />
lernen wir in gewisser Weise, ob wir uns<br />
selbst und unserem Urteil über andere<br />
vertrauen können. Terror, das hat die<br />
australische Philosophin Karen Jones<br />
eindringlich gezeigt, zerstört genau dieses<br />
Metavertrauen in uns selbst. Da es<br />
sein Kennzeichen ist, das er mich überall<br />
und jederzeit treffen kann, verliere<br />
ich die Möglichkeit, mein Vertrauen auf<br />
der Basis einer Kenntnis meiner eigenen<br />
Urteilskraft zu schenken oder zurück<br />
zu halten. Am falschen Ort zur falschen<br />
Zeit zu sein ist kaum ein Vorwurf,<br />
den man an sich richten kann. Er trägt<br />
also auf seine Weise dazu bei, dass das<br />
allgemeine Klima der Unsicherheit, das<br />
er erzeugt und erzeugen will, auch darin<br />
besteht, dass ich meinen eigenen Urteilen<br />
bezüglich meiner Vertrauenskompetenz<br />
nicht mehr trauen kann und das<br />
ist, wenn man so will, neben all den<br />
sonstigen fürchterlichen Aspekten des<br />
Terrors seine demütigende Seite. Er tötet<br />
nicht nur die, die er tötet, er entmündigt<br />
die, die überleben, indem er ihnen<br />
mitteilt: Du wirst nie in der Lage sein,<br />
Gefahrensituationen richtig einzuschätzen.<br />
Auf diese absolute unspezifische Gefahrensituation<br />
reagiert nun der Staat<br />
mit unspezifischer<br />
Überwachung – und<br />
man sollte das angesichts<br />
der durch Terror<br />
ausgelösten<br />
Schockwellen zunächst<br />
einmal nachvollziehen,<br />
ohne gleich alle Reaktionen<br />
auf den Terror naiv zu rechtfertigen. An<br />
diesem Punkt zumindest passt sich die<br />
Überwachung in ihrem Verzicht auf<br />
Differenzierung der Gefahr, die sie bekämpfen<br />
will, auf eigentümliche Weise<br />
an (wohlgemerkt, sie passt sich nicht<br />
dem Terror an, sondern der von ihm erzeugten<br />
unspezifischen Gefahrensituation,<br />
auf die sie eine Antwort sucht).<br />
Man könnte folglich die undifferenzierte<br />
Überwachung als angemessene Antwort<br />
auf eine undifferenzierte Gefahrenlage<br />
beschreiben. Problematisch an<br />
ihr ist aber, dass sie nun auf ihre ganz<br />
eigene Weise entmündigende Aspekte<br />
hat. Um diese namhaft zu machen, wäre<br />
es nötig, mehr über den Freiheitsbegriff<br />
zu erfahren, der in diesen Diskussionen<br />
im Spiel ist, aber nur selten hinreichend<br />
expliziert wird. Nehmen wir an, Freiheit<br />
bestünde auch darin, frei von Überwachung<br />
durch andere zu sein. So jedenfalls<br />
drückte es Annette Baier einmal<br />
aus, die noch immer interessanteste<br />
Philosophin des Vertrauens. Freiheit, so<br />
Baier, heiße „being trusted on one's<br />
own, [being] left unsupervised“. Das ist<br />
schwer zu übersetzen, aber man kann<br />
paraphrasieren: Jemand vertraut darauf,<br />
dass ich alleine zu Recht komme, jemand<br />
lässt mich unbewacht, lässt mich<br />
„ich selbst“ sein. Klar ist, dieser jemand<br />
könnte anders, die Freiheit,<br />
um die es hier geht,<br />
ist insofern eine eminent<br />
soziale Freiheit, eine von<br />
beiden Seiten gewollte<br />
Freiheit. Klar ist auch, dieser jemand<br />
vertraut mir, und nur weil er mir vertraut,<br />
kann ich mich entfalten als der,<br />
der ich bin oder sein will. Klar ist<br />
schließlich auch, dass diese Freiheit offensichtlich<br />
prekär ist, denn sie kann jederzeit<br />
durch Überwachung oder übertriebene<br />
Rechenschaftspflicht eingeschränkt<br />
werden, zumal dann, wenn<br />
der andere über mächtige Sicherheitsapparate<br />
verfügt. Mit anderen Worten,<br />
ich bin nicht erst dann unfrei, wenn andere<br />
mir aktiv Hindernisse in den Weg<br />
legen, ich bin schon unfrei, wenn ich<br />
nicht länger davon ausgehen kann, unbeobachtet<br />
oder allein zu sein. Auch<br />
wenn ich mich nicht schuldig fühle und<br />
nichts zu verbergen habe, ja, wenn ich<br />
tun kann, was ich tun will, muss ich,<br />
verkürzt gesagt, Prism ständig meine<br />
Unschuld beweisen. Und in diesem Sinne<br />
stehe ich de facto unter einer negativen<br />
Rechenschaftspflicht („ich habe tatsächlich<br />
nichts zu verbergen“), die als<br />
Form von Unfreiheit und, auch hier,<br />
von staatlichem Misstrauen begriffen<br />
werden kann. Dass die Empörung über<br />
diese Form der Unfreiheit bislang auf<br />
wenige Akteure beschränkt zu bleiben<br />
scheint, könnte einerseits auf das oben<br />
beschriebene eher geringe basale Sicherheitsempfinden<br />
zurück zu führen<br />
sein, das starke Sicherheitsvorkehrungen<br />
akzeptabel macht. Es könnte aber<br />
auch auf die Unsichtbarkeit dieser Form<br />
von Unfreiheit zurückgeführt werden<br />
können. Sie bleibt stumm, solange der<br />
negative Test bestanden wird. Aber wollen<br />
wir selbst bei Abwesenheit ernster<br />
Verdachtsmomente ständig auf diese<br />
Weise getestet werden? Hier ist eine<br />
breite Diskussion, um es mit einem<br />
schweizerdeutschen Begriff zu sagen,<br />
pendent.