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Forschung & Lehre 8 | 2013

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658 KARRIERE-PRAXIS <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> 8|13<br />

„ Wer nichts tut,<br />

sündigt nicht“<br />

Warum wir das tun, was wir<br />

immer tun<br />

| HANNO B ECK | Menschen tun am liebsten<br />

das, was sie gewöhnt sind, ohne es zu hinterfragen.<br />

Zwar vereinfacht es das Leben, blockiert aber wichtige Veränderungen<br />

und die Wahrnehmung besserer Optionen.<br />

Es ist jedes Semester das<br />

gleiche Ritual: Die Studenten<br />

wählen in der ersten<br />

Vorlesung des Semesters einen<br />

Platz – und sitzen dort<br />

mehr oder weniger das gesamte<br />

Semester. Auch wenn<br />

genügend Plätze frei sind –<br />

man sitzt immer dort, wo<br />

man sich zufällig in der ersten<br />

Vorlesung hingesetzt hat.<br />

Diese Sitzplatzwahl der Studenten<br />

ist ein schönes Beispiel<br />

für das, was Psychologen<br />

als „Status quo bias“ bezeichnen<br />

– Menschen wollen,<br />

dass die Dinge so bleiben,<br />

wie sie sind, und sie<br />

sperren sich gegen Veränderungen.<br />

Können wir wählen<br />

zwischen dem bestehenden<br />

Zustand und einer Veränderung,<br />

so bevorzugen wir den<br />

bestehenden Zustand, den so<br />

genannten Status quo. Will<br />

heißen: Die Studenten setzen<br />

sich dorthin, wo sie immer<br />

sitzen nur, weil sie da immer<br />

sitzen.<br />

AUTOR<br />

Hanno Beck ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der<br />

Hochschule Pforzheim, seine <strong>Forschung</strong>sgebiete sind u.a.<br />

verhaltenswissenschaftliche Ökonomik (Behavioral Economics),<br />

Medienökonomik, Finanzmärkte und Staatsverschuldung.<br />

Abneigung gegen das<br />

Neue<br />

Unsere Abneigung gegen Veränderungen<br />

ist in der psychologischen<br />

Literatur gut dokumentiert<br />

– Versuchspersonen<br />

bevorzugen in Experimenten<br />

häufig den bestehenden Zustand<br />

und entscheiden sich<br />

gegen Veränderungen. Diese<br />

Abneigung gegen das Neue<br />

dominiert auch unserem Alltag:<br />

wir wechseln nicht den<br />

Mobilfunkanbieter, die Bank,<br />

den Lieferanten von Wasser<br />

oder Strom, wir wählen immer<br />

das gleiche Stamm-Menü,<br />

bezahlen weiter unnötige<br />

Abonnements und tragen die<br />

gleiche Mode. Der Mensch<br />

ist ein Gewohnheitstier, er<br />

will, dass die Dinge so bleiben,<br />

wie sie sind, und er<br />

sträubt sich gegen Veränderungen.<br />

Egal, ob das sinnvoll<br />

ist oder nicht – das geht so<br />

weit, dass wir an Gewohnheiten<br />

festhalten, auch wenn<br />

sie sinnlos werden. In Unternehmen,<br />

Behörden und Verwaltungen<br />

gibt es eine Chiffre<br />

dafür: Das haben wir immer<br />

schon so gemacht.<br />

Psychologische<br />

Hygiene<br />

Warum lehnen wir das Neue<br />

ab, warum wollen wir so bleiben,<br />

wie wir sind? Die <strong>Forschung</strong><br />

bietet mehrere Erklärungsansätze:<br />

Zum einen, so<br />

die Idee, fühlen sich Menschen<br />

durch einmal getroffene<br />

Entscheidungen gebunden<br />

– würde man den Lieferanten<br />

wechseln, die Strategie oder<br />

Überzeugung, müsste man<br />

sich und seinem persönlichen<br />

Umfeld eingestehen, dass<br />

man einen Fehler gemacht<br />

hat. Damit wird der Status<br />

quo bias auch zu einem Akt<br />

der psychologischen Hygiene:<br />

man hält an einer Entscheidung<br />

fest, um mit sich<br />

selbst im Reinen zu sein. Ein<br />

Unternehmenschef kann<br />

nicht die Notbremse ziehen,<br />

wenn sein Projekt aus dem<br />

Ruder läuft – er würde sein<br />

Gesicht verlieren. Das könnte<br />

beispielsweise erklären,<br />

warum man bei Großbauprojekten<br />

wie Stuttgart 21 oder<br />

der Elbphilharmonie nicht<br />

einfach aussteigt, obwohl eine<br />

Einstellung die günstigere<br />

Variante sein könnte.<br />

Omission bias<br />

Eine weitere Erklärung für<br />

den Status quo bias könnte<br />

der sogenannte Omission bias<br />

sein: Einen bestehenden<br />

Zustand zu ändern, erfordert<br />

eine aktive Handlung – belässt<br />

man hingegen alles so,<br />

wie es ist, muss man nichts<br />

tun. Letzteres empfinden<br />

Menschen offenbar als nicht<br />

so schwerwiegend. Ein Beispiel<br />

macht diese Idee deutlich:<br />

Wenn Eltern die Wahl<br />

haben, ihre Kinder einem Risiko<br />

einer tödlichen Infektion<br />

von 10 zu 10 000 auszusetzen<br />

oder aber ihren Kindern<br />

eine Impfung gegen diese<br />

Infektion zu geben, bei der<br />

ein Risiko von fünf zu 10 000<br />

besteht, an der Infektion zu<br />

erkranken, entscheiden sie<br />

sich gegen die Impfung, obwohl<br />

diese das Risiko der Infektion<br />

senkt. Warum, ist intuitiv<br />

klar: Die Impfung wirkt<br />

auf die Eltern, als hätten sie<br />

aktiv ihr Kind in Gefahr gebracht.<br />

Wer alles so lässt, wie<br />

es ist, kann sich leichter der<br />

Illusion hingeben, dass er<br />

nicht schuld hat an allem,<br />

was schief geht. Dass eine<br />

Unterlassung letztlich ebenfalls<br />

eine aktive Handlung ist,<br />

kehren wir gerne unter den<br />

Teppich des ungestörten Gewissens.<br />

Wir lassen die Dinge<br />

also so, wie sie sind, weil es<br />

einfacher ist, nichts zu tun –<br />

wer nichts tut, sündigt nicht.<br />

Teuer und gefährlich<br />

Unsere Leidenschaft für den<br />

bestehenden Zustand kann<br />

also teuer und gefährlich<br />

werden: Wir verpassen neue<br />

Gelegenheiten und günstigere<br />

Angebote, halten zu lange<br />

an Fehlentscheidungen fest<br />

und gefährden uns und diejenigen,<br />

die wir lieben, indem<br />

wir untätig bleiben. Kurzum<br />

– der Status quo bias kann<br />

teure bis verhängnisvolle Folgen<br />

haben, die beispielsweise<br />

auch bei der privaten Geldanlage<br />

gut dokumentiert<br />

sind. Dieser Befund könnte<br />

die ablehnende Haltung gegenüber<br />

neuen Lehr- und<br />

<strong>Forschung</strong>smethoden oder<br />

Hochschulreformen erklären:<br />

sie haben mit Akzeptanzproblemen<br />

zu kämpfen,<br />

weil sie neu sind.<br />

Aber ganz so negativ<br />

kann man unsere „Ich will so

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