Forschung & Lehre 8 | 2013
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630 SICHERHEIT STATT FREIHEIT? <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> 8|13<br />
Sind die NSA-<br />
Spähaktionen rechtswidrig?<br />
ARD-Rechtsexperte Bräutigam zur Spionageaffäre<br />
Die Bundesanwaltschaft prüft, ob sie wegen der Spionage der NSA ein Ermittlungsverfahren<br />
einleiten soll. Doch kann ein deutscher Staatsanwalt gegen die<br />
USA ermitteln und dürfte auch ein einzelner Bürger klagen?<br />
Sind die Aktionen der US-Geheimdienste<br />
nach US-Recht rechtswidrig?<br />
Das bestreiten die Vertreter der US-Behörden<br />
bis hin zu Präsident Barack<br />
Obama vehement. Unter US-Verfassungsrechtlern<br />
gibt es aber eine Reihe<br />
von Stimmen, die eine andere Meinung<br />
vertreten. Verfassungsgerichtlich überprüft<br />
wurden die Überwachungsprogramme<br />
noch nicht, deswegen kann<br />
man die Frage nicht abschließend beurteilen.<br />
Gesetzliche Grundlage der Programme<br />
ist der „Foreign Intelligence<br />
Surveillance Act“ von 1978, kurz FISA.<br />
Für die Genehmigung der Überwachungen<br />
ist das geheim tagende FISA-Gericht<br />
zuständig. Über 99 Prozent der<br />
Anträge wurden seit 1979 genehmigt.<br />
Könnte es in Deutschland strafrechtliche<br />
Ermittlungen geben?<br />
Das ist möglich, allerdings haben diese<br />
noch nicht begonnen. Die Bundesanwaltschaft<br />
hat bisher kein offizielles Ermittlungsverfahren<br />
eingeleitet. Die Behörde<br />
wertet gerade die verfügbaren Informationen<br />
aus, um zu prüfen, ob sie<br />
für Ermittlungen überhaupt zuständig<br />
sein könnte. Das ist immer der Fall<br />
beim Verdacht auf Straftaten gegen die<br />
innere und äußere Sicherheit Deutschlands.<br />
Ein mögliches Delikt wäre die<br />
„geheimdienstliche Agententätigkeit“<br />
(§§ 99 Strafgesetzbuch). Danach wird<br />
zum Beispiel bestraft, wer „für den Geheimdienst<br />
einer fremden Macht eine<br />
geheimdienstliche Tätigkeit“ ausübt, die<br />
auf „die Mitteilung oder Lieferung von<br />
Tatsachen oder Erkenntnissen gerichtet<br />
ist“.<br />
In Betracht könnten auch die Vorschriften<br />
zur „Verletzung des persönlichen<br />
Lebens- und Geheimbereichs<br />
kommen“ (§§ 201 ff.). Dafür wären<br />
dann die Staatsanwaltschaften in den<br />
Ländern zuständig. Selbst wenn es zu<br />
Ermittlungen kommen sollte, wäre immer<br />
noch die Frage, gegen wen genau<br />
sie sich richten würden, und ob es tatsächlich<br />
für eine Anklage und ein Urteil<br />
reicht.<br />
Könnte Deutschland die USA oder<br />
Großbritannien verklagen?<br />
Staaten können sich vor dem „Internationalen<br />
Gerichtshof“ in Den Haag gegenseitig<br />
verklagen, müssen aber ein<br />
Verstoß gegen Völkerrecht geltend machen.<br />
Im „Internationalen Pakt über<br />
bürgerliche und politische Rechte“ ist<br />
das Privatleben vor willkürlichen und<br />
rechtswidrigen Eingriffen geschützt.<br />
Wie dabei die Privatsphäre und der<br />
Kampf gegen Terrorismus als Argument<br />
der Befürworter abgewogen würden, ist<br />
völlig ungewiss.<br />
Ob ein Staat in Den Haag klagt, liegt<br />
in seinem Ermessen. Der Bürger hat<br />
keinen Anspruch darauf. Deutschland<br />
könnte Großbritannien als EU-Mitglied<br />
vor dem „Europäischen Gerichtshof“ in<br />
Luxemburg verklagen. Allerdings hat<br />
Großbritannien ausdrücklich erklärt,<br />
dass die Grundrechtecharta der EU im<br />
Königreich nicht gelten soll. Man müsste<br />
Verstöße gegen Verordnungen oder<br />
Richtlinien feststellen. Die Erfolgsaussichten:<br />
ungewiss. Solche Klagen wären<br />
sicher auch das letzte Mittel, im Vordergrund<br />
dürften die politischen Bemühungen<br />
stehen.<br />
Könnte ein deutscher Bürger sich<br />
rechtlich wehren?<br />
Noch ist der konkrete Sachverhalt – die<br />
Grundlage für jede rechtliche Beurteilung<br />
– alles andere als klar. Grundsätzlich<br />
kann man sagen: Deutsche Gesetze<br />
gelten auf deutschem Boden natürlich<br />
nicht nur für deutsche Bürger. Wenn also<br />
von bestimmten Personen auf deutschem<br />
Boden gegen Datenschutzgesetze<br />
verstoßen würde, wäre es denkbar,<br />
vor einem deutschen Gericht zu klagen.<br />
Allerdings kämen rechtliche Hürden ins<br />
Spiel. Zum Beispiel der Grundsatz der<br />
„Staatenimmunität“, der bedeutet: Hoheitsakte<br />
eines Staates können nicht<br />
von Gerichten eines anderen Staates<br />
kontrolliert werden.<br />
Ob man im konkreten Fall über<br />
diese Hürde hinwegkäme, ist eine<br />
hochkomplexe Frage, die ausführlicher<br />
Prüfungen bedarf. Außerdem<br />
müsste man eine Rechtsverletzung<br />
nachweisen, was sicher nicht einfach<br />
ist. Man müsste wissen, gegen wen genau<br />
man klagt. Bei diesem Komplex<br />
gilt mehr denn je: möglicherweise<br />
„recht haben“ und „recht bekommen“<br />
sind zwei völlig unterschiedliche paar<br />
Schuhe. Dass deutsche Bürger in den<br />
USA klagen, ist denkbar, bedarf aber<br />
ebenfalls noch umfangreicher rechtlicher<br />
Prüfungen.<br />
Was die USA laut Medienberichten<br />
tun – ist das nicht eine Art Vorratsdatenspeicherung,<br />
die es in der EU<br />
auch gibt?<br />
Da gibt es im Ansatz durchaus Ähnlichkeiten,<br />
wobei man mit Vergleichen gerade<br />
beim Ausmaß der Überwachungen<br />
vorsichtig sein muss. Auch bei der sogenannten<br />
Vorratsdatenspeicherung geht<br />
es um die Speicherung der Verbin-