Forschung & Lehre 8 | 2013
Forschung & Lehre 8 | 2013
Forschung & Lehre 8 | 2013
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
8|13 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> SICHERHEIT STATT FREIHEIT? 619<br />
Foto: picture-alliance<br />
Innenstädte geht, steht bei „Homeland“<br />
gleich die Sicherheit und die Zukunft<br />
des ganzen Landes auf dem Spiel. Entsprechend<br />
umfassend ist der Verdacht,<br />
mit dem die Heldin der Serie ihre ganze<br />
Welt belegt. Jede Geste, jedes Wort, jede<br />
Handlung des vermeintlichen Terroristen<br />
hat von vornherein einen doppelten<br />
Sinn, muss als Mimikry und Tarnung<br />
gelesen werden oder meint gerade das<br />
Gegenteil dessen, was offen zutage liegt.<br />
Vollends ergreift diese paranoide Logik<br />
»Es erstaunt nicht, dass der<br />
erfolgreichste deutsche Film der<br />
letzten zehn Jahre in den USA<br />
›Das Leben der anderen‹ war.«<br />
des verborgenen Gegensinns von der<br />
CIA-Agentin Besitz, als sie Brody<br />
schließlich direkt konfrontiert, um der<br />
Sache auf den Grund zu gehen, und<br />
sich dabei auch noch in den Helden,<br />
der auch ein Al-Qaeda-Terrorist sein<br />
könnte, verliebt.<br />
Vor knapp fünfzig Jahren, während<br />
des Präsidentschaftswahlkampfs des<br />
Republikaners Barry Goldwater, der als<br />
Vorreiter und Wegbereiter des neuen<br />
„small government“-Konservatismus<br />
gelten kann, der schließlich mit Ronald<br />
Reagan Einzug ins Weiße Haus halten<br />
sollte, veröffentlichte der Historiker Richard<br />
Hofstadter einen Text mit dem Titel<br />
„The Paranoid Style in American Politics“.<br />
In seinem Artikel, der auf einem<br />
Vortrag in Oxford basierte, reihte Hofstadter<br />
Goldwater in eine lange Tradition<br />
der Inverdachtnahme staatlicher<br />
Macht in den USA ein, die bis zu Thomas<br />
Jefferson zurück reicht. Als „Paranoid<br />
Style“ bezeichnete Hofstadter eine<br />
Form des Denkens, die jegliches staatliches<br />
Handeln als Angriff auf die Freiheit<br />
des Individuums betrachtet und in<br />
der Regel auch dunkle,<br />
fremde Mächte am Werk<br />
sieht.<br />
Schaut man sich nun<br />
„Homeland“ an, diesen<br />
Thriller um Liebe in den<br />
Zeiten absoluter Paranoia,<br />
und bedenkt man, wie erfolgreich<br />
die Serie ist, so gewinnt man<br />
leicht den Eindruck, als wäre dieser paranoide<br />
Stil des Denkens nunmehr zu<br />
einem tragenden Motiv der amerikanischen<br />
Kultur geworden, wenn auch in<br />
einer paradoxen Umwertung. Die Amerikaner<br />
haben sich nach dem 11. September<br />
2001 geradezu eilfertig auf das<br />
Argument der Bush-Regierung eingelassen,<br />
demzufolge die Freiheit nur um den<br />
Preis ihrer Einschränkung zu erhalten<br />
sei. Die paranoide Vorstellung des übermächtigen<br />
Staats, der in alle Belange<br />
seiner Bürger eingreift, scheint im Zuge<br />
dessen zu einer ins Positive gewendeten<br />
kollektiven Rückzugsfantasie geworden<br />
zu sein, zu einer Fantasie von Sicherheit<br />
auch unter Bedingungen, in denen<br />
mit dem Feind in allen Lebenslagen zu<br />
rechnen ist. Mit ihrer Semantik des Allverdachts<br />
und des bedrohlichen Doppelsinns<br />
allen Handelns leisten Serien<br />
wie „Homeland“, aber zuvor auch<br />
schon Kinofilme wie Steven Spielbergs<br />
futuristischer Überwachungsthriller<br />
„Minority Report“ von 2002, ihren Beitrag<br />
zur Einübung in diesen neuen paranoiden<br />
Stil des Denkens. Natürlich<br />
durchdringt der Staat unser ganzes Leben,<br />
auch um den Preis unserer Freiheit,<br />
und klar leben wir in einem Überwachungsstaat,<br />
scheint der Tenor zu<br />
sein, aber das ist auch gut so, so lange<br />
die Überwacher nur so intelligent, attraktiv<br />
und patriotisch sind wie Carrie<br />
Mathison in „Homeland“ oder Tom<br />
Cruise als Überwachungsspezialist John<br />
Anderton in „Minority Report“.<br />
Vor diesem Hintergrund erstaunt<br />
vielleicht auch nicht mehr, dass der bei<br />
weitem erfolgreichste deutsche Film in<br />
den USA in den letzten zehn Jahren<br />
Florian Henkel von Donnersmarcks<br />
„Das Leben der anderen“ war: In dem<br />
Drama über einen Stasi-Beamten, der<br />
Kulturschaffende in Ost-Berlin belauscht,<br />
erkannten die Amerikaner<br />
möglicherweise etwas von der Lage<br />
wieder, in die sie selbst nach dem 11.<br />
September 2001 geraten waren.