Forschung & Lehre 8 | 2013
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8|13 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> TÜRKEI 645<br />
Foto: picture-alliance<br />
Stellen ernannt. TÜBITAK hingegen<br />
vertritt schon länger die Regierungslinie.<br />
Anfang Juli gab er anlässlich einer<br />
Ablehnung eines Förderungsantrags öffentlich<br />
bekannt, er werde keine Projekte<br />
im Bereich Evolution unterstützen,<br />
da dies ein umstrittenes Thema sei.<br />
Die Hochschulen stehen heute mehr<br />
denn je unter staatlichem Druck, Kritik<br />
wird unterbunden, Andersdenkende<br />
werden entmachtet und wenn nötig<br />
»Für Ruhe und Gehorsam an den<br />
Universitäten sollen künftig Polizisten<br />
sorgen, die dauerhaft auf dem Campus<br />
im Einsatz sein werden.«<br />
hinter Gitter gebracht. Eine von ihnen<br />
ist die Politikwissenschaftlerin Prof.<br />
Büşra Ersanl (Marmara Universität),<br />
der die Führung einer illegalen Organisation<br />
vorgeworfen wird. Als Hinweise<br />
werden etwa Vorträge, die sie in der Politischen<br />
Akademie der Partei für Freiheit<br />
und Demokratie hielt und ihre Mitarbeit<br />
an der Verfassungskommission<br />
der Partei angegeben, Beweise hingegen<br />
gibt es wohl keine. Ersanl kam vergangene<br />
Woche frei, der Prozess wird im<br />
Herbst fortgesetzt. Die AKP bekämpft<br />
Wissenschaftler aber nicht nur aus explizit<br />
ideologischen Gründen. Gegen<br />
den Krebsforscher Prof. Onur Hamzao<br />
lu (Kocaeli Universität) sollte ein<br />
Disziplinarverfahren eröffnet werden,<br />
weil er unwillkommene Ergebnisse über<br />
Luftverschmutzung und die Auswirkungen<br />
der Schadstoffbelastung auf die Bewohner<br />
der betroffenen Region veröffentlichte.<br />
Auch Studierende haben bereits vor<br />
den Ereignissen im Gezi-Park wiederholt<br />
Repressionen und Polizeigewalt erfahren.<br />
So etwa,<br />
als bei einem Besuch<br />
des Ministerpräsidenten<br />
an<br />
der Technischen<br />
Universität des<br />
Mittleren Ostens<br />
(ODTÜ) im vergangenen<br />
Dezember ca. 300 Menschen<br />
friedlich gegen die Regierungspolitik<br />
demonstrierten. Es kam zu einem Polizeieinsatz<br />
mit über 3 000 Mann, ca. 100<br />
gepanzerten Fahrzeugen und rund<br />
2 000 Gasgranaten auf dem Campus. 50<br />
Demonstranten wurden verletzt, drei<br />
von ihnen schwer. Auch unbeteiligte<br />
Studierende in den Hörsälen waren<br />
dem Reizgas ausgesetzt. Auf die Kritik<br />
des Rektors der Universität, der Polizeieinsatz<br />
sei unverhältnismäßig gewesen,<br />
antwortete der Ministerpräsident mit<br />
dem Vorwurf, die Professoren würden<br />
den Studierenden statt Patriotismus den<br />
Proteste in Istanbul<br />
Bau von Molotow-Cocktails beibringen.<br />
Für Ruhe und Gehorsam an den Universitäten<br />
sollen künftig Polizisten sorgen,<br />
die dauerhaft auf dem Campus im<br />
Einsatz sein werden.<br />
Es gehörte ohnehin zum Gestus des<br />
Ministerpräsidenten, jeden, der nicht in<br />
seinem Sinne handelt, zu kriminalisieren.<br />
Sein Ton ist seit den Gezi-Protesten<br />
noch schärfer geworden. Hunderttausende,<br />
die seit Ende Mai auf den Straßen<br />
demonstrieren, sind „Marodeure“<br />
und „Terroristen“. Hierzu gehören Ärzte,<br />
die Verletzte versorgen, ebenso wie<br />
Experten der Städteplanung und Juristen,<br />
die sich trotz allem keinen Maulkorb<br />
verpassen lassen. Die Entdemokratisierung<br />
und die Polizeigewalt machen<br />
vor den Universitäten nicht halt.<br />
Es ist wichtig, dass wir uns ein Bild von<br />
der Situation machen und dass sich<br />
auch die internationale Öffentlichkeit<br />
dazu äußert. Dies haben z. B. schon mit<br />
einer Presseerklärung vom 18. Juli in<br />
New York, die in der Zeitschrift Science<br />
erscheinen soll, unter anderem vier Nobelpreisträger<br />
getan. Auch gibt es eine<br />
„academics for gezi“-Petition (www.<br />
academicsforgezi.com), die mittlerweile<br />
über 4 000 Wissenschaftler aus aller<br />
Welt unterzeichnet haben.