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Schwerpunkt - Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend

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<strong>Schwerpunkt</strong><br />

Dritten Reiches" (5. 132). Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat im -Dezember<br />

1953 festgestellt, daß die Rechtsvorschrift<br />

von 1935 ordnungsgemäß erlassen<br />

sei und unangefochten bestanden<br />

habe. In <strong>der</strong> Rechtsprechung wurden<br />

die Begründungen <strong>der</strong> Ns-Zeit nicht<br />

formell außer Kraft gesetzt. Lediglich<br />

im Hinblick auf die Definition des Unzuchtsbegriffs<br />

wurde nicht mehr auf<br />

"die gesunde Volksanschauung" verwiesen,<br />

son<strong>der</strong>n auf das "Sittengesetz"<br />

. Die Verfassungsrichter klärten<br />

aber nicht, wer dieses definiere, hatten<br />

aber offensichtlich in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

die öffentlichen Religionsgemeinschaften<br />

im Blick. stümke folgert deshalb,<br />

daß damit "die Kirche das verfassungsrechtliche<br />

Erbe des gesunden<br />

Volksempfindens angetreten" hätte<br />

(5.135).<br />

Die bürgerlichen Freiheiten <strong>der</strong> aundesrepublik<br />

gelten natürlich auch für<br />

homosexuell veranlagte Menschen.<br />

Faktisch waren sie aber stark eingeschränkt,<br />

da <strong>der</strong> § 175 Handhabe gab,<br />

jede Form öffentlichen Hervortretens<br />

zu unterbinden. Neben dem Argument,<br />

daß "durch die sittenbildende Kraft des<br />

Strafgesetzes ein Damm gegen die<br />

Ausbreitung eines lasterhaften Trei·<br />

bens zu errichten" sei (so im Regierungsentwurf<br />

zu § 175 von 1962),<br />

wurde vermehrt das familienpolitische<br />

Argument in die Diskussion gebracht<br />

(bes. Wuermeling, 1953; Texte siehe<br />

stümke, S. 140).<br />

Man muß in den ersten Jahren <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik von einer starken<br />

Aggressivität gegenüber Homosexualität<br />

sprechen. Denn nach <strong>der</strong> Kriminalstatistik<br />

stieg die Zahl <strong>der</strong> nach § 175<br />

Verurteilten von 2000 im Jahre 1950<br />

bis auf 3 500 im Jahre 1959 an. Das ist<br />

eine Vervierfachung gegenüber <strong>der</strong> Zeit<br />

<strong>der</strong> Weimarer Republik. Es sind Fälle<br />

belegt, daß Homosexuelle, die das KZ<br />

überlebten, anschließend bis zu fünf<br />

Jahren in bundesdeutschen Gefängnissen<br />

und Zuchthäusern einsaßen. "Eine<br />

Wie<strong>der</strong>gutmachung für erlittenes Ns­<br />

Unrecht wurde Homosexuellen nicht<br />

zugestanden" (stümke, S. 147). Das<br />

Bundesentschädigungsgesetz vom Oktober<br />

1957 erkannte nur politische Gegnerschaft<br />

zum Nationalsozialismus an,<br />

also Gründe von Rasse, Glauben und<br />

Weltanschauung. Zigeuner, Zwangssterilisierte<br />

und Homosexuelle hatten<br />

demzufolge keine Ansprüche.<br />

In den achtziger Jahren erst traten<br />

die "vergessenen Opfer des Ns-Regimes"<br />

stärker in das Bewußtsein <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit und nötigten 1987 die<br />

Bundesregierung zu einer "endgültigen<br />

Regelung" (stümke, S. 151). Für<br />

viele kam diese Regelung zu spät, da<br />

sie gar nicht mehr lebten. Der <strong>der</strong>zeitige<br />

Bundespräsident Richard v. Weizsäcker<br />

bezog erstmals als Repäsentant<br />

unseres Staates in seiner Rede zum<br />

vierzigsten Jahrestag <strong>der</strong> Befreiung <strong>der</strong><br />

KZs Homosexuelle in das Gedenken an<br />

die Opfer des Dritten Reiches mit ein.<br />

Die Abschaffung des § 175<br />

Die sechziger Jahre brachten in <strong>der</strong><br />

bundesrepublikanischen Öffentlichkeit<br />

eine deutliche Wende und eine kritische<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

"alten Kultur" (D. Claessens) in vielen<br />

Dimensionen. Die Studentenbewegung<br />

war das äußere Zeichen eines tiefgehenden<br />

Wandlungsprozesses. Eine<br />

Liberalisierung im pädagogischen Bereich<br />

betraf auch den gesellschaftlich<br />

stark tabuisierten Umgang mit Sexualität<br />

insgesamt. Beispielsweise die Aufklärungsfilme<br />

von Oswald Kolle Mitte<br />

<strong>der</strong> sechziger Jahre waren sowohl Ausdruck<br />

als auch Motor eines sich verän<strong>der</strong>nden<br />

öffentlichen Bewußtseins.<br />

Dieser Umbruch führt dazu, daß die<br />

Große Koalition 1969 eine Reform des<br />

§ 175 vornahm. Homosexualität unter<br />

Erwachsenen war nun straffrei, jedoch<br />

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