Immer noch der Zeit voraus - Universität Bremen
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<strong>Zeit</strong>schriften gab es wie<strong>der</strong>holt Schwerpunkthefte zu speziellen Problemen <strong>der</strong> Reformpädagogik.<br />
Die in dieser <strong>Zeit</strong> erschienenen Monographien und Kongressbände spiegeln ein neu entfachtes<br />
Eigeninteresse <strong>der</strong> Erziehungswissenschaft an reformpädagogischen Konzeptionen wi<strong>der</strong>, das genährt<br />
wurde durch die verän<strong>der</strong>te politische Lage nach ‚89 und die unmittelbar aufbrechende Reformeuphorie<br />
im Bildungsbereich. Viele Erziehungswissenschaftler wurden zu Vortragsreihen in neue Bundeslän<strong>der</strong><br />
eingeladen, um über alternative Schulmodelle und reformpädagogische Strömungen zu referieren. Eine<br />
für manche, um differenziert-kritische Analysen bemühte Erziehungswissenschaftler delikat-paradoxe<br />
Situation: Kann man in solcher Aufbruchstimmung über die „theoretische Trivialität“ und Inhomogenität<br />
<strong>der</strong> Reformpädagogik referieren und ihr eine mangelnde praktische Originalität absprechen? Sollte<br />
man die „Monumentalisierung <strong>der</strong> Reformpädagogik zur epochalen Welterziehungsbewegung“ beklagen<br />
o<strong>der</strong> die Gelegenheit nutzen, die Reformpädagogik als „Krisenbearbeitungsmuster im Prozess <strong>der</strong><br />
Mo<strong>der</strong>nisierung“ zu rehabilitieren? (Ullrich 1990, Oelkers 1989).<br />
Schlichter gefragt: Sollte man sich angesichts <strong>der</strong> günstigen Winde ein eigenes leichtes reformpädagogisches<br />
Mäntelchen umhängen o<strong>der</strong> sich eher wärmer anziehen Lind den „reformpädagogischen<br />
Altschnee“ wegzuschieben versuchen?<br />
Als erziehungswissenschaftlicher Schneeschieber versucht sich <strong>der</strong> Würzburger Pädagoge Winfried<br />
Böhm. „Nicht die blanke Tatsache <strong>der</strong> Schulkritik und nicht die krude For<strong>der</strong>ung nach an<strong>der</strong>en Schulen<br />
lässt erstaunen, son<strong>der</strong>n vielmehr das merkwürdige Phänomen, dass die in unseren Tagen geübte<br />
Kritik an <strong>der</strong> Schule und die als bessere Gegenbil<strong>der</strong> promulgierten Alternativen auf fatale Weise an<br />
Argumentation und Schulmodelle erinnern, die vor rund hun<strong>der</strong>t Jahren entstanden sind und in den<br />
meisten Fällen sogar Schnee besser sollte man sagen:<br />
Gletschereis aus dem vergangenen Jahrhun<strong>der</strong>t darstellen“. (Böhm 1994, S. 14).<br />
Böhm hat, zusammen mit Kollegen, ein für die Herausgeber ungewöhnlich erfolgreiches Büchlein<br />
vorgelegt, in dem er sich darüber entrüstet, dass die Erziehungsmethoden von Reformpädagogen<br />
wie C. Freinet sich einer augenblicklichen Verbreitung erfreuen, „von <strong>der</strong> ihre Schöpfer zeitlebens<br />
nur träumen konnten‘7 (Böhm u.a. 1994). Auf <strong>der</strong> Titelseite des Buches „Schnee vom vergangenen<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t Neue Aspekte <strong>der</strong> Reformpädagogik“ prangt ein Portrait von Célestin Freinet eingerahmt<br />
von Ludwig Gurlitt und Friedrich Wilhelm Förster. Ansonsten aber, man mag es kaum glauben, kommt<br />
Freinet o<strong>der</strong> die Bewegung <strong>der</strong> Ecole Mo<strong>der</strong>ne in dem ganzen Buch überhaupt nicht vor. Bitter be-<br />
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Schulreform umsieht und nach den Bannerträgern alternativer Schulmodelle fragt, <strong>der</strong> wird auf Leute<br />
wie ... Célestin Freinet und an<strong>der</strong>e verwiesen ... . Die so genannte Reformpädagogische Bewegung<br />
des ausgehenden 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts“, so konstatiert Böhm, „hat einen unerwarteten konjunkturellen<br />
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gegangen“ (Böhm 1994, S. 15). Prophetisch spricht er den Nicht-Reformern Hoffnung und Trost zu:<br />
„Währten die aufklärerischen und die gegenaufklärerisch-romantizistischen Perioden früher länger,<br />
so lösen sich die pädagogischen Moden heute in so rascher Folge ab, dass man angesichts des <strong>der</strong>-<br />
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