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Immer noch der Zeit voraus - Universität Bremen

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Stadtteil eine neue Schule eröffnet, auch eine ganz normale Schule, grad um die Ecke. Und meine<br />

Mutter hatte erfahren, dass es in dieser Schule einen jungen Lehrer gab, <strong>der</strong> machte keinen so versteiften<br />

Unterricht, <strong>der</strong> war sehr offen. Und dieser Lehrer war ebenfalls an Freinet-Pädagogik interessiert,<br />

war zum Beispiel sehr dafür, dass die Kin<strong>der</strong> auch nach draußen gehen und draußen lernen.<br />

Bei diesem Monsieur Gallon, <strong>der</strong> so nett war und so interessant und so aktiv, da habe ich erst wie<strong>der</strong><br />

gemerkt, wie schlecht diese Schule davor war, die ich erst so ernstgenommen hatte.<br />

Im Rückblick<br />

Was ich gelernt habe in zwei Jahren Freinet-Unterricht? Na gut, ich habe auch schreiben gelernt und<br />

lesen und rechnen. Das ist klar. Diesen Grundstoff habe ich gelernt. Aber mir ist heute etwas ganz<br />

an<strong>der</strong>es wichtig. Ich könnte sagen, ich habe gelernt das klingt natürlich sehr, sehr gehoben, ich habe<br />

gelernt, dass man in Freiheit etwas lernen kann. Ich habe gelernt, dass man Freiheit mit Verantwortung<br />

haben kann. Dass Freiheit und Verantwortung keine Wi<strong>der</strong>sprüche sind. Im Gegenteil! Natürlich, das<br />

ist, wie ich es jetzt sehe.<br />

Das war unsere Klasse. Wir hatten richtig ein Wir-Gefühl dabei. Wir waren eine Einheit. Und es lag in<br />

unserem Interesse, dass das gut lief: dass die <strong>Zeit</strong>ung richtig gedruckt wurde und rechtzeitig gedruckt<br />

wurde und und und.<br />

Es gab keine Strafe o<strong>der</strong> so was. Man konnte sagen:<br />

„Okay, das mach ich nicht! Ich habe keinen Bock!“ Wir hätten diese Freiheit gehabt. Aber wir haben<br />

unsere Freiheit nicht ausgenutzt, um die Dinge nicht zu tun.<br />

Das war, was man Jahre später, achtundsechzig, die „autonome Disziplin“ genannt hat.<br />

Und das ist etwas, was jetzt in den Schulen fehlt. Die Schüler haben kein Gefühl von Verantwortung<br />

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kaputt usw. Dieser Vandalismus, das wäre uns nie in den Kopf gekommen. Nicht, weil wir Angst vor<br />

Strafe gehabt hätten, aber das war unsere Klasse, das gehörte uns. Man hatte keinen Grund, etwas<br />

kaputt zu machen. Gut, natürlich hatten wir ab und zu keinen Bock, keine Lust zu arbeiten, was zu<br />

tun. Ich habe nicht immer die ganzen Kärtchen mit den vorgefertigten Aufgaben gemacht. Aber es gab<br />

dieses Gefühl, man kann lernen. Eigentlich war da nicht mal <strong>der</strong> Eindruck, dass wir gelernt haben. Wir<br />

haben da gelebt. Da gelebt und Sachen gemacht dabei. Und Sachen machen, davon haben wir gelernt.<br />

Lernen war natürlich das Ziel, aber das war eingepackt in das Zusammenleben in <strong>der</strong> Klasse.<br />

*) Dieser „Erinnerungsgeschichte“ liegt ein Interview mit Jean Loup Ringot vom 30.5.1995 in Hambergen zugrunde. Der Text wurde aus Teilen dieses<br />

Interviews neu zusammengestellt.<br />

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