Immer noch der Zeit voraus - Universität Bremen
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lichen Erfahrungen in die Diskussion bringen. Ich möchte aber <strong>noch</strong> einmal betonen: die ersten Jahre<br />
sind dafür da, dass die Kin<strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> kommunizieren und auf ihre Art kooperieren.<br />
Wenn ich jetzt Lehrer wäre, hätte ich einen Computer in meiner Klasse. Aber er würde nicht sehr viel<br />
helfen, weil man ihn als Kommunikationsmittel nicht brauchen würde. Es ist für die Gruppe nicht notwendig,<br />
dass sie weiß, was in Finnland o<strong>der</strong> Holland passiert. Computer ist immer ein Ersatz.<br />
Die Maschine ist eine Krücke zwischen einem Individuum und dem an<strong>der</strong>en. Die direkte Kommunikation,<br />
das ist wichtig. Die Kin<strong>der</strong> sind allein, abgetrennt von <strong>der</strong> Welt, sie sind abgetrennt von ihren Großeltern,<br />
von ihren Cousinen, selbst von ihren Eltern sind sie getrennt. Und da stellt man nun eine Maschine<br />
hin, damit sie mit an<strong>der</strong>en korrespondieren. Das ist vielleicht besser als nichts, aber es ist eben nicht<br />
die persönliche Kommunikation. Ich habe dreißig Jahre lang die Erfahrung gemacht, dass durch die<br />
direkte Begegnung Intensität entsteht.<br />
Also, einen Computer o<strong>der</strong> ein Fax-Gerät in <strong>der</strong> Klasse? Ja, aber nicht vor neun Jahren. Bis dahin ist<br />
alles, was die Kin<strong>der</strong> bewegt, ganz nah bei ihnen. Und an dieser unmittelbaren Umgebung sind die<br />
Kin<strong>der</strong> interessiert, und sie hören dir zu, und sie haben Ideen, und sie helfen dir, und sie unterrichten<br />
dich den Lehrer, du lernst ihre Welt kennen. Die Gruppe in diesem Alter braucht keinen Computer. Sie<br />
ist für sich selbst reich genug.<br />
Das Problem ist allerdings, dass die meisten Kin<strong>der</strong> keine Chance mehr haben, Kin<strong>der</strong> zu sein. Und<br />
deshalb ist es wichtig, dass die Lehrerinnen wie<strong>der</strong> zu Kin<strong>der</strong>n werden. Nein, nein, nicht so, wie das<br />
vielleicht klingt.<br />
Die Lehrerinnen sollen nicht wie<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> werden, son<strong>der</strong>n sie sollen die Freuden <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> „neu“<br />
lernen, zu spielen, zu singen, mit Dingen zu arbeiten.<br />
Freinet behauptet, dass es einen Elan des Lebens gibt 5), dass das Kind von sich aus eine unglaubliche<br />
Fähigkeit und eine unglaubliche Kraft hat, sich zu entwickeln. Aber die Umstände <strong>der</strong> heutigen<br />
Welt behin<strong>der</strong>n es permanent. Es gibt viele Traumata für Kin<strong>der</strong>.<br />
Jedes Kind kommt zunächst in das Chaos einer ihm fremden Welt. Es muss lernen, darin zu überleben.<br />
Dazu muss es Strukturen entwickeln und Werkzeuge, um irgendwie zurechtzukommen. Die Kunst<br />
des Lehrers ist es, diesem Kind Strukturen zu vermitteln, ihm Werkzeuge an die Hand zu geben und<br />
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Nehmen wir zum Beispiel die Sprache. Im Kind entsteht, wenn es freie Texte schreibt, diese unglaubliche<br />
Kraft und Entfaltung und <strong>der</strong> Wunsch sich auszudrücken. Und gleichzeitig bemerkt es aber auch<br />
die Beschränkung durch die Sprache. Also entwickelt das Kind seine eigene Sprache und interessiert<br />
sich überhaupt <strong>noch</strong> nicht für die Grammatik. Und erst im Laufe <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> kommen die Strukturen <strong>der</strong><br />
Grammatik, die es dann annimmt und zu seiner Sprache macht.<br />
Also, das Kind benutzt die Formen <strong>der</strong> Sprache, die Strukturen <strong>der</strong> Sprache, ohne es zu wissen. Aber<br />
da es ein Mensch ist, stellt es sich Fragen. Und es stellt Fragen über die Strukturen <strong>der</strong> Sprache.<br />
Und schließlich beherrscht es die Sprache. Also, das Kind drückt sich erst aus, fragt dann nach den<br />
Strukturen, und im Laufe <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> beherrscht es diese Strukturen, die es erst beeinträchtigt haben, als<br />
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