Immer noch der Zeit voraus - Universität Bremen
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Freinet erkannte den freien Ausdruck als authentisches Zeugnis <strong>der</strong> kindlichen Persönlichkeit. Er<br />
schätzte ihn als künstlerischen Ausdruck wert, er erkannte seine Bedeutung für das Selbstwertgefühl<br />
und die Anerkennung in <strong>der</strong> Gruppe.<br />
Er nahm die von <strong>der</strong> Klasse ausgewählten Texte (obwohl er selbst oft eine an<strong>der</strong>e Wahl getroffen hätte)<br />
als Hinweis auf ein sachliches o<strong>der</strong> emotionales Interesse, dem er ebenfalls Raum gab.<br />
Er wusste um die Bedeutung des freien Ausdrucks für das Lernen im jeweiligen Bereich:<br />
„Jede Zeichnung mit ihren Fehlern und Möglichkeiten ist eine Stufe in <strong>der</strong> Lernentwicklung.“ 4)<br />
Freinet will deshalb auch nicht die Formen kindlichen Ausdrucks verbessern, we<strong>der</strong> im schulischen<br />
Sinn <strong>noch</strong> in irgendeinem an<strong>der</strong>en. Es genügt, das Bedürfnis nach Entwicklung und Leben zu erhalten.<br />
In seinen Schriften kann man verfolgen, dass er dem freien Ausdruck immer breiteren Raum einräumt.<br />
Ich kann nur vermuten, dass es ihm ging wie mir und vielen an<strong>der</strong>en, die den freien Ausdruck zugelassen<br />
haben: Der freie Ausdruck entwickelt eine solche Kraft (<strong>voraus</strong>gesetzt man bremst ihn nicht durch<br />
sinnloses Herumkorrigieren und Beurteilen und einseitige Ansprüche) und offenbart soviel über das<br />
einzelne Kind, dass man ihn als Lehrer immer mehr schätzen und lieben lernt.<br />
Idee 2:<br />
Freinet hatte erkannt, dass die Verän<strong>der</strong>ung des Unterrichts und des Schullebens von unten kommen<br />
musste, dass Schulen und Lernen darin sich nicht durch Verfassung theoretischer Bildungskonzeptionen,<br />
die von oben diktiert werden, än<strong>der</strong>n lassen. Und, da er ja gerade „die Dynamik als das oberste Gebot<br />
<strong>der</strong> Pädagogik ansah“ 5), hat Freinet nicht nur eine Pädagogik, son<strong>der</strong>n auch eine Lehrerbewegung<br />
begründet.<br />
Die Weiterentwicklung an <strong>der</strong> Basis, im Dialog mit den Kin<strong>der</strong>n, im Dialog mit <strong>der</strong> Entwicklung allgemein,<br />
im ständigen Austausch mit den Kolleginnen, nur so kann sich eine Pädagogik entwickeln, die<br />
wirklich vom Kind ausgeht und auf die Zukunft dieses Kindes ausgerichtet ist.<br />
„Was wir Freinet-Pädagogik nennen, ist kein festgefügtes, abgeschlossenes Konzept. Es ist im Grunde<br />
nicht die Pädagogik des Célestin Freinet, son<strong>der</strong>n ausgehend von den Gedanken und Erfahrungen<br />
Freinets, eine sich immer weiterentwickelnde breitgefächerte Pädagogik, die von einer Lehrerbewegung<br />
getragen wird“6)<br />
Die <strong>Zeit</strong>genossen und Mitstreiter Freinets haben in ihren Klassen zunächst die von Freinet angefangene<br />
Arbeit mit Rechenkarteien fortgesetzt und weiterentwickelt. So konnte jedes Kind zumindest seinem<br />
eigenen Tempo und seinen Fähigkeiten entsprechend das vom Lehrer mit <strong>der</strong> Karteikarte vorgegebene<br />
System nachvollziehen.<br />
Gleichzeitig entwickelten sie gemeinsam das „caicul vivant“, das mit seinen damaligen Inhalten (dem<br />
Kalen<strong>der</strong>, dem Einkaufen, <strong>der</strong> Körpergröße <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> usw.) ebenfalls inzwischen in den traditionellen<br />
Unterricht Einzug gehalten hat.<br />
Aber die Freinetbewegten blieben nicht dabei stehen. Sie nahmen die Ideen als solche, und entwickel-<br />
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