Immer noch der Zeit voraus - Universität Bremen
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und unglaubliche Reaktionen „als ihre Politik glaubwürdig darstellen“ wollen z.B. in Wahlkämpfen.<br />
Die allgemeine Verunsicherung in einer riskanten, unübersichtlichen, waren und erlebnisversprechenden<br />
und so weiter Gesellschaft ist in all ihren Etagen eine Bedingung des alltäglichen pädagogischen<br />
Furors, also Angriffs. Sie macht aus Bürgern Dauerlehrlinge, die keine eigenwillige Identität mehr ausbilden<br />
können und <strong>der</strong>en Meister in Gestalt gemachter Dinge eine eigentümliche pädagogische Sprache<br />
sprechen. Diese Sprache hat eine Bildungsmacht entfaltet, die die Erfahrungsund Erkenntnisfähigkeit<br />
<strong>der</strong> Menschen verkümmern lässt. Entmündigende Expertokratie, die allgemeine Automobilmachung<br />
mit ihren Kommandolehren, die Sitzübungen vor den Bildschirmen um nur einige Phänomene anzu-<br />
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unmöglich o<strong>der</strong> zum Privileg von Außenseitern gemacht.<br />
Vor diesem Hintergrund nenne ich den nächsten Abschnitt: Entmündigende Belehrung.<br />
Entmündigende Belehrung<br />
Weil sich die Dinge wandeln was sie immer, wenn auch gemächlicher getan haben-, weil das Wissen<br />
explodiert - was es nie tun wird -, weil die Menschen so orientierungsbedürftig geworden sind was eine<br />
Unterstellung ist -, sei weitere permanente Schulung nötig. Sie wird von pädagogischen Animateuren<br />
aus den Reklame-, Ratgeber- und Belehrungsbranchen reklamiert und besorgt. Sie behaupten zu wissen,<br />
wo es langgeht.<br />
Die lebenslange und Erkenntnis <strong>der</strong> Welt man lernt ja nie aus wird zum lebenslänglichen Lernprozess<br />
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Informationsgesellschaft stellt sich als entmündigende Belehrungsgesellschaft heraus. Sie produziert<br />
belehrungsbedürftige Sitzenbleiber des Fortschritts als Dauerlehrlinge.<br />
Als Tendenz kann ich dabei weniger das beklagte „Verschwinden <strong>der</strong> Kindheit“ (Postman) erkennen,<br />
als vielmehr die regressive Verkindlichung, also Infantilisierung <strong>der</strong> Erwachsenen. Diese Tendenz lässt<br />
sich in vielen Phänomenen ausmachen; beispielsweise im radikalen Verfall des Wertes <strong>der</strong> Erfahrung<br />
<strong>der</strong> Alten, ein Wert, dessen Halbwertzeit inzwischen auf fünf Jahre veranschlagt wird, im unerbittlichen<br />
Jugendkult <strong>der</strong> so genannten Erwachsenen, in <strong>der</strong> späten o<strong>der</strong> ausfallenden Selbständigkeit vieler <strong>der</strong><br />
Jungen genauso, wie in <strong>der</strong> viel zu frühen Aussetzung an<strong>der</strong>er in die raue Wirklichkeit, <strong>der</strong> sie <strong>noch</strong><br />
nicht gewachsen sein können, in <strong>der</strong> sehnsüchtigen Abhängigkeit fast aller von <strong>der</strong> Mutterbrust des<br />
Marktes und in den aufgeregten Versuchen <strong>der</strong> meisten Jungen (bloß nicht) erwachsen zu werden.<br />
Sie zeigt sich auch in <strong>der</strong> Ausweitung von Beratungs-, Lehrgangs-, Vermittlungs-, Informationsund<br />
Therapieangeboten. Die Nachfrage scheint inzwischen zu existieren, sonst könnten es die Anbieter<br />
nicht. Das verweist auf eine wirkliche Notlage <strong>der</strong> Ratsuchenden. Ich frage mich aber, ob sie nicht auch<br />
durch das Angebot <strong>der</strong> unabweisbaren Helfer beför<strong>der</strong>t worden sein könnte. Mir scheint, die gutgemeinte<br />
„Hilfe zur Selbsthilfe“ dürfte zuerst den Helfern selbst geholfen haben. Zumindest aber sind die<br />
Helfer zu Entsorgern einer gesellschaftlichen Umwelt geworden, in <strong>der</strong> die Probleme eigentlich gelöst<br />
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