Immer noch der Zeit voraus - Universität Bremen
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Später, um ein Experiment zu machen, habe ich das alles wie<strong>der</strong> weggelassen. Was fehlte uns, mir<br />
und den Kin<strong>der</strong>n? Nichts! Im Gegenteil! Wir sind in <strong>der</strong> Arbeit weitergekommen.<br />
Freinet hat dazu gesagt: „Ich versteh ja, dass du das tun kannst, aber du bist ein außergewöhnlicher<br />
Lehrer, und als Beispiel für an<strong>der</strong>e ist das gefährlich. An<strong>der</strong>e können es nicht so machen, wie du es<br />
machst. An<strong>der</strong>e brauchen die Techniken.“<br />
Ich denke, die Freinet-Pädagogik hat vier wesentliche Aspekte. Es gibt (l) den kreativen Ausdruck,<br />
(2) die Kommunikation (die Schülerzeitung, die Korrespondenz), (3) die Klassengemeinschaft<br />
(Klassenkooperative) und (4) die Erkundung <strong>der</strong> Umwelt.<br />
Beim freien Ausdruck geht es dem Kind um sich selbst (von sich zu sich), bei <strong>der</strong> Kommunikation um<br />
den Dialog (von sich zu den an<strong>der</strong>en), bei <strong>der</strong> Klassenkooperative um das Miteinan<strong>der</strong> (von sich mit<br />
den an<strong>der</strong>en) und bei <strong>der</strong> Erkundung <strong>der</strong> Umwelt um die Außenwelt (von sich zum „Außer-sich“).<br />
Je<strong>der</strong> Lehrer entscheidet sich für einen Schwerpunkt, <strong>der</strong> seinen Neigungen und Interessen entspricht.<br />
Mir ist zum Beispiel die Korrespondenz mit einer an<strong>der</strong>en Klasse nie richtig gelungen. Ich kann das<br />
nicht gut, so eine Regelmäßigkeit über einen langen <strong>Zeit</strong>raum aufrechtzuerhalten. Das Weglassen <strong>der</strong><br />
Korrespondenz war für mich wie eine Befreiung.<br />
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Umwelt zu erkunden. Später begann ich mich mehr und mehr für die „innere Welt“ des Kindes zu interessieren.<br />
Und für mich wurde <strong>der</strong> eigene Ausdruck, <strong>der</strong> kreative Ausdruck, das Wichtigste. Ich wurde<br />
zum Repräsentant dieser Richtung...<br />
Das hat mich auch mehr mit Elise als mit Célestin Freinet verbunden. Elise hat innerhalb <strong>der</strong> entstehen-<br />
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auch verteidigt. Dass wir in dieser Richtung weitergekommen sind, haben wir Elise zu verdanken.<br />
Als ich begann, die „natürliche Methode“ in Mathematik zu unterrichten2), hat Elise zu mir gesagt: „In<br />
diesem Punkt ist Freinet gegen dich. Aber ich bin an deiner Seite.“ Ich bin mehr ein Sohn von Elise als<br />
von Célestin Freinet.<br />
Freinet hat das Lernen sehr am Alltag orientiert, seine Mathematik zum Beispiel hat er aus dem<br />
Kaufmannsladen geholt. Ich habe meine Vorstellungen von Mathematik aus dem Spiel, <strong>der</strong> Fantasie<br />
und den Strukturen entwickelt. 3)<br />
Freinet war ja <strong>der</strong> Sohn eines Bauern und Elise war die Tochter eines Lehrers. Sie war eine Künstlerin.<br />
Freinet war pragmatischer, und weil die beiden so gegensätzlich waren, konnte diese Gemeinschaft<br />
existieren. Die beiden hatten eine dialogische Beziehung, sie ergänzten sich, sie standen aber auch<br />
in Opposition. Und weil es diese Aspekte gab, wuchs Freinet-Pädagogik weiter, komplementär und<br />
kontradiktionär.<br />
Elise hat nicht viel geschrieben. Aber ohne Elise gäbe es diese Freinet-Pädagogik, die wir heute kennen,<br />
nicht.<br />
Das, was Freinet sehr am Herzen lag, die Klassenkooperative, <strong>der</strong> politische Aspekt, das stand in <strong>der</strong><br />
französischen Freinetbewegung von Beginn an im Vor<strong>der</strong>grund. Ich habe da eine etwas abweichende<br />
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