Immer noch der Zeit voraus - Universität Bremen
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„Ich weiß nur, dass ich zuerst mit Zahlen gehandelt habe. Und dann kam das Kullersystem. Und das<br />
war <strong>der</strong> Zusammenbruch. Ich versuchte es besser zu verstehen, aber ich weiß heute davon nichts<br />
mehr wirklich nichts mehr. Ich suchte nach dem Kern. Sie (die Lehrerin) hat gleich halbiert und dann<br />
hat sie das Lernen für sich einkassiert. Wir haben nichts gelernt damit lernen wir nichts.“ 2)<br />
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Statt langer Erklärungen stellte er den Kin<strong>der</strong>n mit selbstgefertigten Karteien die üblichen<br />
Rechenverfahren als ein fertiges Haus zur Verfügung, das sich <strong>der</strong> Schüler seinem eigenen Tempo<br />
und Können entsprechend selbst erarbeiten konnte.<br />
Er for<strong>der</strong>te außerdem, das greifbare Leben <strong>der</strong> Schüler, ihre Umwelterfahrungen, in den Mittelpunkt<br />
des Rechenunterrichts zu stellen, for<strong>der</strong>te einen Rechenunterricht, <strong>der</strong> den Kin<strong>der</strong>n Platz für eigene<br />
Entdeckungen gibt (Tâtonnement éxperimental).<br />
Im Grunde hielt er aber mit seinen Karteien an einer systematischen Erarbeitung <strong>der</strong> Rechenverfahren<br />
fest.<br />
Den<strong>noch</strong> haben Célestin und Elise Freinet einen Weg gewiesen, <strong>der</strong> mich auch nach 25 Jahren des<br />
Lehrerinnen seins immer <strong>noch</strong> in Spannung hält.<br />
Für diesen Wegweiser sind meiner Meinung nach zwei Ideen <strong>der</strong> Freinets hauptverantwortlich, die ich<br />
ungeachtet <strong>der</strong> bekannten Tatsache, dass die ganze Pädagogik mehr ist als die Summe ihrer Teile,<br />
hier herausgreife:<br />
Idee l:<br />
Indem die Schule das Bedürfnis des Menschen unterdrückt, unaufhörlich „emporzusteigen und zu<br />
wachsen“, hat sie sich <strong>der</strong> stärksten menschlichen Antriebskraft beraubt.<br />
Freinet hat versucht, diese <strong>der</strong> Schule und dem schulischen Lernen verlorengegangene Kraft wie-<br />
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erkannte diese Kraft anhand seiner Erfahrungen und Beobachtungen im Spannungsbogen zwischen<br />
zwei Polen:<br />
Da ist einerseits das Bedürfnis, nützlich zu sein in <strong>der</strong> Gemeinschaft: „Ich bewun<strong>der</strong>te mein Werk:<br />
dank meiner Arbeit würde das Gras schneller trocknen... Die an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> hätten ruhig kommen<br />
können, um mich zu irgendeinem Spiel zu holen. Nichts in <strong>der</strong> Welt hätte mich dazu gebracht, eine<br />
Beschäftigung aufzugeben, die in meinen Kräften stand und <strong>der</strong>en Sinn und Zweck ich vollkommen<br />
einsah.“ 3)<br />
Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben Freinet und seine Frau Raum geschaffen für ein an<strong>der</strong>es existenzielles<br />
Bedürfnis des Menschen: das Bedürfnis, sich auszudrücken. Ein Bedürfnis, das bei den Kin<strong>der</strong>n <strong>noch</strong><br />
beson<strong>der</strong>s lebendig ist und wenn man die passende Umgebung schafft und Raum gibt, statt den Strom<br />
zu dämmen sich in vielfachen Formen Bahn bricht: In Gesang und Bewegung, in Worten und mit dem<br />
Pinsel, im Theaterspiel, in <strong>der</strong> Musik und vielerlei an<strong>der</strong>en Gestalten.<br />
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