130Ljubomir Braticbesoldet! – zur Hilfe eilen würden. Es ging darum, den subversiven Gehaltseines Aktes der direkten Aktion ad acta zu legen. Senada Rebronja, die Stellvertreterinvon Zoran Bulatovic, betont im Gespräch, dass sie in ihrer Gruppediese Tendenz in der öffentlichen Wahrnehmung sofort erkannt hatten: „Wirhaben uns dagegen gewehrt, dass aus ihm (Zoran Bulatovic – A. d. A.) einPsychopath gemacht wird. Es muss allen klar sein, dass, wenn er als Präsidentder Vereinigung ein Psychopath ist, die anderen 1500 arbeitslosen Mitgliederes auch sind.“ Der Kampf, der da geführt wird, ist nicht einer von einem Individuum,das so leicht als psychotisch abgetan werden könnte, sondern einer,der im Namen der Gruppe und als Gruppe geführt wird und für den Gruppeauch in jeder Hinsicht die Verantwortung übernimmt.Dass dieser Fall auch unter den Linken sehr wenig diskutiert wurde, zeigtdie Ratlosigkeit, die, angesichts der neoliberalen Offensive und der geradedurch die Krise stattfindenden Umstrukturierung herrscht.Was aber tun, wenn diese Arbeitskraft in vollem Bewusstsein und durcheine rationale Entscheidung beginnt, sich selbst zu vernichten? Es geht nichtmehr um Maschinenstürmer, sondern um eine Verstümmelung des Selbst inder Überzeugung, dass dadurch nicht nur der Arbeiter, sondern die gesamte,auf der Arbeitskraft dieses Arbeiters aufgebaute, Logik zum Stürzen gebrachtwerden könnte. Die letzte und die heiligste Bastion der kapitalistischen Verwertungslogikund des Dispositivs der Wertvermehrung, die Arbeitskraft,sagt in einem letzten, verzweifelten, aber durchaus rationalen Akt: Nein!Diese mögliche Waffe der Arbeitskämpfe, gewissermaßen der Nullpunktsolcher Kämpfe, haben die hungerstreikenden ArbeiterInnen in Novi Pazar,und mit ihnen Zoran Bulatovic, wieder ins Bewusstsein gerufen. Auf der anderenextremen Seite dieser Kampfinstrumentarien befindet sich der Generalstreik.Die Selbstvernichtung der so begehrten (allerdings möglichst billigen)Arbeitskraft und ihre höchste Organisation als Generalstreik: Zwischendiesen zwei Extrempolen befinden sich abertausend anderer Techniken undnotwendiger Maßnahmen, die über die Jahrhunderte entwickelt und ausprobiertwurden. Und von denen leider viele in Vergessenheit geraten sind.Heutzutage geht es nicht allein – und nicht nur in Osteuropa – darum, dieseanzuwenden, sondern auch darum, sie den ArbeiterInnen ins Bewusstsein zubringen. Ihnen die Angst vor dem Heiligenschein der Privatbesitzer und derenBeschützern zu nehmen, um deren Maßnahmen durch die Verwendungdieser Techniken zu bekämpfen. Die Arbeitenden haben also sowohl auf derMikro-, als auch auf der Makroebene Instrumentarien entwickelt, die sie demInhaber der Produktionsmittel entgegen setzen können. Der Verdienst derhungerstreikenden arbeitslosen ArbeiterInnen in Novi Pazar ist es, diese Tatsachewieder in Erinnerung gerufen zu haben.
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