Überblicksstudie über die aktuelle Kinder- und Jugendliteratur in ...

aber mit „Die wundersamen Tage von Hana Krähe“ (Divni dni Gani Grak) auch ein
belletristisches Kinderbuch geschrieben. Es entspricht nicht so sehr der gängigen, an
klassischen Kindererzählungen orientierten Prosa in der ukrainischen KJL und hat
Diskussionen über die Angemessenheit hervorgerufen. Wenngleich das Buch nicht ganz an
die Qualiät der Erwachsenentitel heranreicht, so kommt es bei Kindern der sechsten Klasse
gut an: Die Protagonistin ist die Viert- bzw. Fünftklässlerin Hana, die sich – ähnlich einer
Alice im Wunderland – als Grenzgängerin zwischen den Welten des Hier und des
phantastischen Dort erweist. 87 Über die bekannten Spiegel oder den Blick in gleißendes Licht
gelangt sie in sechs verschiedenen Geschichten von ihrem Alltag in andere Sphären und Orte
(wie z.B. an den Nordpol). Jene „Trips“ mögen zum Teil wie eine halluzinöse
Bewusstseinserweiterung anmuten, können aber auch einfach als überaus phantastische
Erzählungen aufgefasst werden (vgl. Episode „Der Geist in der Turnhalle“).
Ljubko Dereš spricht sehr gut Englisch und hat bereits viele Erfahrungen mit Lesungen und
Auftritten im Ausland gesammelt. Bei Lesungen zu seinem Kinderbuch schafft er es – so die
Meinung seiner Leser – sein Publikum in lauthalses Lachen ausbrechen zu lassen dank der
Fähigkeit, unterschiedliche Rollen stimmlich ausfüllen zu können.
Ljubko Dereš pro Mykolu Gogolja, Marka Tvena, Nikolu Teslu, Al’berta Ejnštejna,
Stivena Kinga. Kiev: Grani-T 2007. (KB ab 11)
Divni dni Gani Grak. Ill. Al’ona Kotova. Kiev: Grani-T 2006. (KB ab 10)
6.3.7 Lesja Voronina (*1955) und Zirka Menzatjuk (*1954)
Beide Autorinnen stehen an der Spitze der ukrainischen Kinderliteratur und haben in der
Umfrage zu den bedeutendsten Kinderbüchern der vergangenen 10 Jahre die meisten
Stimmen erhalten (Voronina vor Menzatjuk). Beide verstehen sich auf die Anlage klassischtraditioneller
Kinderbuchsujets und sind schlichtweg gute Erzählerinnen, deren Stil und
Themen jedoch ein wenig arriviert wirken.
Menzatjuk, die überaus warmherzig und angenehm ist, muss als die große
Märchenverfasserin ihres Landes gelten. Vor allem ihre „Kiever Märchen“ (Kyïvs’ki kazki),
die ihre Ausgang in der ukrainischen Kapitale nehmen und diese zu einem Schauplatz
wundersamer Geschichten stilisiert wird, sind aus der ukrainischen Kinderliteratur nicht
wegzudenken und erschienen auch in einer englischen Ausgabe. Dezidiert ukrainisch, aber
rasanter ist auch das Kinderbuch Taemnycja kozac’koï šabli („Das Geheimnis des
Kosakensäbels“), in dem das alte Auto Maška zu neuen Ehren kommt und eine Familie auf
eine Verfolgungs- und Glückritterreise durch die Ukraine und deren mythischer
Vergangenheit begleitet, auf der Suche nach dem Kosakensäbel. Diese wilde Tour ist durch
die auktoriale Erzählhaltung, die sich gern ein wenig lustig macht, eine vergnügliche Lektüre
– allerdings inklusive Nationalkolorit 88 .
Universellere Themen trifft man in Menzatjuks Bilderbuch Kazočky-kucochvostyky
(„Märchen mit kurzem Schwänzchen“), die für die jüngsten Leser in kurzen Texten erzählen,
wie ein Vater seine sieben Kinder nach den Wochentagen nennt, woher die Farben des
Regenbogens oder die Monatsnamen eines Jahres kommen. Jene auf eine Doppelseite
untergebrachten „kurzschwänzigen“ Märchen sind von Svitlana Chmil’ (*1970) liebevoll
und für ukrainische Verhältnisse angenehm dezent illustriert. Der Titel wurde 2006 als „Buch
des Jahres“ ausgezeichnet.
Im Vergleich zu den zarten, poetischen Märchsujets von Menzatjuk, schreibt Lesja Voronina
offensiver und will witzig berichten. In ihrer vierfach preisgekrönten Märchenadaption von
87 Und ähnlich wie in Alice so erscheinen aus dem Nichts fremdartige, spleenige Figuren. Die Carrollsche
Grinsekatze feiert bei Hana als „außerirdisches Katzenwesen“ eine Art Wiederbelebung.
88 Auch dieses Buch stammt aus der Reihe „Ukrainische Stärke“ des Staryj Lev-Verlages (vgl. Oleksandr
Havroš).
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