Der Burgbote 1983 (Jahrgang 63)
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G^rädi<br />
mit dem<br />
Dirigenten<br />
Herr Lang, wie beurteilen Sie<br />
die Entscheidung der diesjähri<br />
gen Jahreshauptversammlung<br />
in punkto Teilnahme bei Kon<br />
zerten?<br />
„Diese Entscheidung be<br />
grüße ich sehr. Dadurch wird<br />
vermieden, daß Sänger ein Kon<br />
zert als Repräsentationspflicht<br />
ansehen und die Probenarbeit<br />
gerne anderen überlassen.<br />
Die Entscheidung zeugt aber<br />
auch von einer wachsenden<br />
Selbsterkenntnis innerhalb des<br />
Chores, heute dem Anspruch,<br />
der aus der Tradition erwächst,<br />
nicht mehr zu genügen."<br />
Durch die getroffene Ent<br />
scheidung, in Zukunft nur noch<br />
Sänger bei Konzerten zuzulas<br />
sen, die 80% der möglichen<br />
Proben, incl. der letzten drei,<br />
besucht haben, wird ein höhe<br />
rer Leistungsstandard bei Kon<br />
zerten erreicht. An der Proben<br />
effizienz ändert sich nichts.<br />
„Ich gehe davon aus, daß alle<br />
aktiven Sänger an den Jahres<br />
konzerten teilnehmen wollen<br />
und glaube, daß der Beschluß<br />
der Jahreshauptversammlung<br />
die Sänger stärker motiviert, an<br />
allen Proben teilzunehmen.<br />
Ich kann mir aber durchaus<br />
vorstellen, daß Sänger, die sich<br />
für musikalisch halten, die ein<br />
oder andere Probe auslassen. In<br />
der Einstellung: bis die anderen<br />
es können, kann ich es schon<br />
lange. Dabei vergessen diese<br />
Herren, daß durch aktive Teil<br />
nahme bei den Proben den<br />
weniger musikalischen Sän<br />
gern das Erlernen des Stoffes<br />
erleichtert und beschleunigt<br />
wird.<br />
Sicher gibt es auch Sänger,<br />
die sich das ein oder andere<br />
Werk gar nicht zutrauen, sich<br />
also von vornehereln in schwie<br />
rigen Passagen als Statist füh<br />
len und glauben, für den Rest<br />
des Konzertprogramms weni<br />
ger Proben nötig zu haben."<br />
Sehen Sie einen Zusammen<br />
hang zwischen unterschiedli<br />
chem Probeninteresse und dem<br />
Konzertprogramm?<br />
„Wenn ich Ihre Frage richtig<br />
verstehe, so glauben Sie, daß es<br />
Sänger gibt, für die das Pro<br />
gramm der letzten Konzerte zu<br />
schwierig war, nicht nur was<br />
das Eriernen sondern auch was<br />
das musikalische Verständnis<br />
betrifft und daß es Sänger gibt,<br />
deren Neugierde auf Musik<br />
durch das langsame Erarbeiten<br />
unbefriedigt bieibt und die sich<br />
auch an schwierige Werke<br />
gerne heranwagen würden.<br />
Dieses Dilemma ist mir im<br />
Laufe der Arbeit mit einem so<br />
großen Chor bewußt geworden.<br />
Da es aber mein ehrliches Anlie<br />
gen ist, Laienmusikern nicht<br />
ihre Grenzen aufzuzeigen, son<br />
dern neue Türen aufzustoßen,<br />
ihnen zu zeigen, daß sie mehr<br />
können, als sie sich von vorneherein<br />
zutrauen, versuche ich<br />
mit Geduld und Beharrlichkeit<br />
an einem Repertoire festzuhal<br />
ten, das ein Chor mit Renomee<br />
notwendig braucht. Ich fühle<br />
mich in diesem Bestreben im<br />
Einklang einer sehr großen<br />
Mehrheit der Sänger, denn das<br />
„Selbst-Musizieren" ist bei der<br />
heutigen Musik-Schwemme die<br />
einzige Möglichkeit, sich die<br />
Sensibilität für Musik zu<br />
bewahren!<br />
Ich finde es gar nicht so<br />
schlimm, wenn ein Sänger die<br />
ein oder andere Passage erst<br />
*<br />
bei Wiederholungskonzerten<br />
mitsingen kann. Schlimm finde<br />
ich alierdings, daß eine Reihe<br />
von musikalischen Sängern nur<br />
noch nicht begriffen hat, daß<br />
der Schwierigkeitsgrad eines<br />
Werkes wie z.B. „Das Liebes<br />
mahl der Apostel" so hoch ist,<br />
daß die innerhalb eines Jahres<br />
angesetzten Proben selbst<br />
einem Berufschor nur knapp<br />
reichen würden (für Intonation,<br />
Dynamik, Ausdruck und<br />
Stimmtechnik)".<br />
Ihren guten Willen und Ihre<br />
Kompromißbereitschaft in<br />
allen Ehren, Herr Lang. Opfern<br />
Sie hier nicht schon Ihren Elan,<br />
mit dem Sie uns an neue Stücke<br />
herangeführt haben? Sind die<br />
Träume in Richtung Tageszei<br />
ten von Richard Strauss schon<br />
ausgeträumt?<br />
„Zugegeben, der Elan ist<br />
durch das langsame Vorwärts<br />
kommen bei den Proben ein<br />
fach gedämpft worden. Nach<br />
den Erfahrungen mit Wagner,<br />
vor allem aber auch mit den a-<br />
cappella-Stücken von Bruch<br />
und Bruckner kann ich mir<br />
unter den derzeitigen Probenund<br />
Konzertbedingungen einen<br />
Richard Strauss nicht vorstel<br />
len.