Der Burgbote 1983 (Jahrgang 63)
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Für Freunde<br />
g^chrieben<br />
Rosenberg, Nonnengarten und<br />
Marienburg. Von einem<br />
„Schwätzerchen" fand sich<br />
keine Spur. Da sieht man mal<br />
wieder, wie leicht man einem<br />
Sangesfreund aufsitzen kann.<br />
Oder - hatte die Uhr bei mir<br />
nicht richtig getickt?<br />
<strong>Der</strong> Wortschatz ist in den<br />
letzten Jahrzehnten ungeheuer<br />
gewachsen. Dazu haben vor<br />
nehmlich die Bereiche der Wis<br />
senschaft und Technik beige<br />
tragen. Nach Schätzungen gibt<br />
es in der deutschen Sprache<br />
etwa 160000 Wörter. Ein<br />
schließlich aller Fremd- und<br />
Kunstwörter wird inzwischen<br />
mit mehreren Millionen Wörtem<br />
gerechnet Erstaunlich und<br />
zugleich tröstlich ist diö jstatistische<br />
Feststellung, daß 54,35%<br />
des Durchschnitts aller Texte in<br />
unserer Gegenwart nur aus<br />
207 (1) Wörtern besteht Bei<br />
diesen Druckerzeugnissen han<br />
delt es sich nicht nur um Bouievardzeitungen<br />
und Machwerke<br />
der Regenbogenpresse, sondem<br />
um all das, was uns ge<br />
druckt - <strong>Burgbote</strong> eingeschlos<br />
sen - zugängig ist Da wird es<br />
wahrscheinlich höchste Zeit,<br />
dem weiteren Veröden der<br />
deutschen Sprache mit Macht<br />
entgegenzuwirken.<br />
Bei der Fülle von Wörtem, die<br />
sich einem jeden Deutschen für<br />
eine Jede Tätigkeit zur freien<br />
Auswahl anbietet bereitet mir<br />
der rege Gebrauch aller nur<br />
denkbaren sprachlichen Verän<br />
derungen geradezu diebische<br />
Freude. Aber was ist das für ei<br />
ne Zeit die Schüiem höherer<br />
Lehranstalten<br />
Deutschunterricht<br />
erlaubt<br />
abzuwäh<br />
len? Die Ergebnisse solchen<br />
Handeins sind ein erschrecken<br />
des Unwissen und ständig<br />
wachsende Fehlerquoten in der<br />
deutsche Sprache.<br />
Wenn ich in die Mottenkiste<br />
der deutschen Geschichte grei<br />
fe, stoße ich immer wieder auf<br />
Otto von BismarcK der nicht -<br />
wie einige unentwegte Konsu<br />
menten des Werbefemsehens<br />
zu glauben scheinen - T3pmanager<br />
eines Fahrradwerkes in<br />
Gütersloh, einer Schnapsbren<br />
nerei im Sachsenwaid und einer<br />
Heringsfabrik in Cuxhaven war,<br />
sondem einfach und schiichtais<br />
Gründer und Schmied des er<br />
sten deutschen Reiches nach<br />
1871 in die Geschichte Eingang<br />
fand. Kenner und Verehrer die<br />
ses großen Mannes sagen ihm<br />
einen ungewöhnlichen großen<br />
Wortschatz nach. Sie zählten<br />
seine Reden, Briefe und Memoi<br />
ren (Gedanken und Erinnerun<br />
gen) Wort für Wort aus und ka<br />
men auf die stolze Zai)i von<br />
15000 Wörtem. Goethe ist ihm<br />
da nur um ein Geringes überle<br />
gen. Um Bismarck ranken sich<br />
viele Anekdoten. So auch eine<br />
mit dem französischen Bot<br />
schafter von Flrangois-Poncet,<br />
der einmal lauthals über die<br />
schwer eriembare deutsche<br />
Sprache und die Wörtervieifait<br />
bei Bismarck Klage führte. Da<br />
mals meinte er, senden und<br />
schicken besagten doch das<br />
Gleiche. Waaim, wollte er wis<br />
sen, müsse man im Deutschen<br />
denn immer mehrere Begriffe<br />
parat haben. Bismarck meinte<br />
darob, vieldeutig lächelnd:<br />
„Weil, mein Lieber, Sie zwar ein<br />
Gesandter aber kein Geschick<br />
ter sind!" (Pardon, wegen des<br />
Bartes!) Bismarck war es auch,<br />
der einer Verfremdung der<br />
deutschen Sprache ungewollt<br />
Vorschub leistete, in einer Rede<br />
137<br />
vor dem deutschen Reichstag<br />
sprach er einmal von „Imponde<br />
rabilien". Zunächst wußte man<br />
nicht was dies bedeutete. Doch<br />
dann wurde der Begriff der Un<br />
wägbarkeit bzw. der Unbere<br />
chenbarkeit schnell ein Mode<br />
wort seiner Zeit Heute ist ein<br />
schiechter Brauch der Politiker<br />
aller Parteien, dem Volk immer<br />
wieder neue Fremdwörter vor<br />
zusetzen. Bei Erhard war es das<br />
Bilaterale, bei Schiller die konzertrierte<br />
Aktion und vieles<br />
mehr undjetzt geistert der Kon<br />
formismus (Obereinstim<br />
mung), die Kontinuität (unter<br />
brochener Zusammenhang)<br />
und die Kommunikation (Zu<br />
sammenhang zwischen) durch<br />
Reden und Schriften. Es scheint<br />
schick zu sein, für gebildet ge<br />
halten zu werden. Dabei entfer<br />
nen sich diese Sprächsünder<br />
von Fall zu Fall immer mehrvom<br />
einfachen Bürger, der diese und<br />
viele andere Begriffe nicht ver<br />
steht und sich damit aus der De<br />
batte ausgeschlossen fühlt Die<br />
Revolution findet also im eng<br />
sten Kreise und meist im Saale<br />
statt Ein typisches Beispiel da<br />
für, daß Sprache auch Hemmschweiien<br />
aufbauen kann.<br />
Fortsetzung im nächsten Burg<br />
boten<br />
ihr Hanns Theo Henke<br />
Von allen Geschenken,<br />
die uns eine weise<br />
Voraussicht gewährt,<br />
um das Leben völlig<br />
beglückend zu gestalten,<br />
ist Freundschaft<br />
das schönste.<br />
Epikur