Jonathan lernt leben_v3.08_Buch_Druckversion

Tages möglich sein, seinen Tastsinn so gezielt einzusetzen,
wie eine Fledermaus den Gehörsinn? Das könnte durchaus
nützlich sein. Aber ist Jonathan überhaupt in der Lage, so
viel Information zu verarbeiten? Mit den Augen kann man
sich ja häufig auch nur auf einzelne Dinge zu beschränken,
auch wenn man aus dem Augenwinkel noch viel mehr sieht,
so wird man sich dessen oft nicht richtig bewusst, oder?
Jonathan hat keine Lust mehr, weiter herumzugrübeln. Es
gibt ohnehin wohl bald Abendessen. Er geht in die Küche
und beginnt Teller und Besteck ins Wohnzimmer zu tragen
und sie dort zu verteilen. Dabei nimmt er sich fest vor, nicht
mit seiner Kraft herumzuspielen. Die Verlockung, einfach
alles ordentlich hinzuzaubern, ist gross, aber die Angst, ihm
könnten die Teller doch zu Boden fallen und zerbrechen, ist
grösser. Als Jonathan fertig ist, öffnet er die Tür zum Balkon,
um einen Moment raus zu gehen. Er war wohl seit einem
halben Jahr nicht mehr auf dem Balkon gewesen, er ist
schliesslich auch winzig und es sind keine Stühle hier
draussen. Wenn es nach Jonathans Vater ginge, hätten sie
keinen Balkon, aber einen Balkon zu entfernen, ist einfach
zu umständlich, also tut man so, als wäre er nicht da. Was
genau Jonathans Vater gegen den Balkon hat, versteht
Jonathan nicht. Wenn der Müll voll ist, bevor die Müllabfuhr
kommt, dann können sie ihn hier lagern, das ist doch
praktisch. Er sieht den Leuten gerne zu, wie sie ihres Weges
gehen. Manchmal erfindet er Geschichten darüber, woher
sie kommen und wohin sie gehen, was für eine Arbeit sie
machen, wie viele Geschwister sie haben, wo sie
aufgewachsen sind, welche Hürden sie überwunden haben,
welches ihr Lieblingsessen ist und so weiter. Alle Menschen
haben so viele Erfahrungen gemacht, und ein ganz eigenes
Leben, man kann es gar nicht richtig begreifen, Jonathan
zumindest nicht. Zu wissen und zu verstehen, ist nicht das
Gleiche. Dass alle 7.5 Milliarden Menschen einzigartig sind,
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