Jonathan lernt leben_v3.08_Buch_Druckversion

Mutter hat heute frei und kocht, das möchte er nicht
verpassen. Und wäre sie nicht daheim, so müsste Jonathan
kochen und das dürfte er auch nicht verpassen. Wie
mühsam das Leben doch ist. Es gibt einfach keinen Moment,
in dem man nicht noch irgendetwas sollte oder müsste.
Jonathans Vater hat gelegentlich ein Lied auf dem CD-Player
im Wohnzimmer abgespielt. Das hatte den Titel „Keine
ruhige Minute“. Damals hat Jonathan das Lied noch nicht
nachvollziehen können. Wie langweilig sein Dasein damals
doch war. Jetzt hat er wirklich keine ruhige Minute mehr.
Zwar muss er nicht 24/7 arbeiten, aber trotzdem gibt es
immer etwas, das er eigentlich noch tun müsste. Alles geht
dahin, ohne dass etwas kommt. Immer muss man geben,
ohne dass man etwas bekommt. Und bekommt Jonathan
doch einmal etwas, so zerrinnt es ihm zwischen den
Fingern. Es muss doch einen Weg geben, sich einmal erfüllt
und erholt zu fühlen.
Sport, sagt Ivan, Sport sei der Schlaf für die Seele. Aber ist
nicht Schlaf der Schlaf für die Seele? Und beim
Fahrradfahren schläft Jonathans Seele jedenfalls nicht, es
sei denn, seine Seele ist Schlafwandler. Trotzdem fühlt sich
Fahrradfahren besser an als Rumsitzen und Heulen,
Jonathan sollte es öfters tun. Dann könnte er auch von sich
behaupten, dass er ein richtiges Hobby habe. DVDs schauen
zählt irgendwie einfach nicht als Hobby. Für Jonathan ist es
aber das Beste, was es gibt. DVDs kosten aber Geld und von
dem hat Jonathan nicht so viel. Er kriegt 50 Euro
Taschengeld im Monat. Das reicht für zwei bis drei DVDs pro
Monat. Eine DVD ist aber auch nur zwei bis drei Stunden
lang und ein Monat mindestens 28 Tage. Natürlich könnte
Jonathan die Filme vom Netz laden, so wie das heutzutage
alle tun, aber das fühlt sich nicht echt an.
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