Jonathan lernt leben_v3.08_Buch_Druckversion

„Halt immer wieder zwischendurch. Nachts,
morgens, an Sonntagen und so weiter.“
„Ist das nicht anstrengend?“
„Ja, schon, aber meistens interessiert mich der
Stoff, das erleichtert es.“
Ob Jonathan wohl auch einmal so etwas studieren kann? Er
kann sich nicht vorstellen, etwas zu finden, das ihm so gut
gefällt, dass er freiwillig arbeitet. Aber wer weiss? Céline
scheint auf jeden Fall zuversichtlich zu sein. Sie erzählt von
dem Beginn ihres Studiums und wie sie aus Versehen einen
Professor geduzt habe, schweift dann über zur Bedeutung
des Duzens und Siezens der Deutschen Gesellschaft, wozu
Jonathan anmerkt, dass in Japan diese Klauseln noch viel
komplizierter seien. Céline fragt Jonathan, ob er Japanisch
könne, worauf Jonathan antwortet, dass er ganz ein
bisschen sprechen könne und ganz ein bisschen verstehen
könne. So starren die beiden die Decke an und reden über
belanglose Dinge. Jonathan könnte für immer so bleiben.
Aber die Zeit vergeht und Jonathan muss nachhause. Er
muss heute wieder einmal kochen. Das macht er ja im
Prinzip nicht ungerne, aber er wäre trotzdem lieber bei
Céline geblieben. Es hat zu regnen begonnen und Céline
offeriert Jonathan einen Regenschirm. Er ist rot mit weissen
Punkten darauf. Jonathan bedankt sich und geht seines
Weges. Ihm geht es doch relativ gut. In der U-Bahn sieht er
ein Pärchen, das sich küsst, und er kann sich sogar für sie
freuen. Das Graffiti an den Wänden Neuköllns scheint ihm
wie die wahre Kunst, der Regen wie ein Hauch des Lebens.
Jonathan versucht, die Wege einzelner Regentröpfchen mit
seiner Kraft zu spüren und sie zu ändern, doch es gelingt
ihm nicht so ganz. Jonathan lässt aber nicht locker, er will
lernen. Er hat schon lange nicht mehr lernen wollen, aber er
hat es vermisst.
216