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SPORTaktiv April 2019

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Wie nah war das Karriereende<br />

wirklich?<br />

Dadurch, dass die Regeneration fast ein<br />

halbes Jahr gedauert hat, habe ich bestimmt<br />

fünfmal meine Karriere beendet.<br />

Mindestens.<br />

Gib mal Einblicke in deine Pround<br />

Contra-Liste.<br />

Pro war vor allem, dass ich selber über<br />

mein Karriereende entscheiden wollte.<br />

Ich habe gemerkt, dass ich den Sport<br />

nach wie vor mit Liebe und Ehrgeiz mache.<br />

Die letzten Jahre haben mir zudem<br />

gezeigt, dass es für mich sportlich eigentlich<br />

leicht geht, dass ich das, was<br />

von mir erwartet wird, Tag und Nacht<br />

abrufen kann.<br />

Aha.<br />

Im Alter ist es so: Was dir an jugendlicher<br />

Spritzigkeit fehlt, machst du mit<br />

Erfahrung gut. Zu jeder Kurve hinsprinten,<br />

das geht nicht mehr. Die Beine<br />

würden es zulassen, der Kopf nicht<br />

mehr. Der sagt: Lass gut sein, was wir<br />

vor der Kurve verlieren, machen wir dahinter<br />

wieder wett. Ich bremse lieber<br />

früher und schau mir das Spektakel aus<br />

der zweiten Reihe an.<br />

Du hast in einem Interview gesagt,<br />

dass du in der Phase des Nachdenkens<br />

durchaus depressive Gedanken<br />

hattest.<br />

So etwas ist schon gravierend. Aber<br />

nicht, weil man daran kiefelt, wie es weitergeht,<br />

da habe ich wenig Angst. Ich<br />

weiß jetzt auch genau, was ich nach der<br />

Karriere nicht machen will. Die Depression<br />

kam durch etwas anderes. Ich vergleiche<br />

es so: Wenn Leute Knieprobleme<br />

haben, dann hinken sie und jeder weiß,<br />

dass sie nicht voll leistungsfähig sind.<br />

Bei einem Hämatom im Kopf, das keiner<br />

sieht, glauben alle und auch du<br />

selbst, dass du wieder funktionieren<br />

musst. Aber das geht nicht. Das Gehirn<br />

ist durchgehend überbelastet, versucht<br />

sich selbst zu schützen. In so einer Phase<br />

kann einem schnell alles zu viel sein.<br />

Bei der Schwere deiner Verletzung<br />

hätte noch viel mehr passieren können.<br />

Ich sag mal so: Die Ärzte waren nach<br />

Ansicht der Bilder überrascht, dass ich<br />

noch sprechen, geschweige denn gehen<br />

konnte. Das Hämatom hat auf so viele<br />

Gehirnareale gedrückt, dass ich eigentlich<br />

Lähmungserscheinungen hätte haben<br />

müssen. Im schlimmsten Fall hätte<br />

man mir einen großen Teil der Schädeldecke<br />

rausbohren müssen, das ist dann<br />

schon gravierend. Dann reden wir von<br />

,,MEINE GRÖSSTE<br />

ANGST WAR, AN<br />

EINER KRANKHEIT<br />

WIE FRÜHES PAR-<br />

KINSON ZU LEI-<br />

DEN, WIE MAN ES<br />

AUS DER NFL ODER<br />

VOM BOXEN HER<br />

KENNT.“<br />

Krankheiten wie frühem Parkinson, von<br />

denen man aus der NFL oder vom Boxen<br />

hört. Man spricht dann von weißen<br />

Punkten im Gehirn. Ich gebe zu: Davor<br />

hatte ich massive Angst.<br />

Wie hat sich die geäußert?<br />

Man wird extrem hellhörig. Ich habe etwas<br />

vergessen und mich sofort gefragt:<br />

Sind das Folgeschäden oder normale<br />

Vergesslichkeit?<br />

Bei vielen hätte das dazu geführt, dass<br />

sie sich vom Leistungssport verabschieden.<br />

Diese Sache war immer der Knackpunkt.<br />

Ich habe viel mit Ärzten und<br />

auch einer Sportpsychologin gesprochen.<br />

Und wir haben immer wieder CTs<br />

und MRTs gemacht, wenn ich Kopfweh<br />

oder ein mulmiges Gefühl hatte. Wenn<br />

die negativ waren, war ich wieder zwei,<br />

drei Wochen beruhigt.<br />

Wann war die Zeit des Bangens vorbei?<br />

Kurz vor der Deutschland-Tour im August<br />

hab ich mich drei Tage in Hamburg<br />

untersuchen lassen. Die Ärzte haben<br />

dann gesagt: Alles ist perfekt verheilt,<br />

keine weißen Punkte im Gehirn. Da<br />

wusste ich: Es geht weiter.<br />

Du hast gesagt, du weißt genau, was<br />

du nicht nach der Karriere machen<br />

willst.<br />

Ich weiß, dass ich definitiv im Radsport<br />

bleiben möchte. Aber definitiv nicht als<br />

sportlicher Leiter eines Teams.<br />

Warum nicht? Als „Road Captain“, der<br />

das Team organisiert, wärst du doch<br />

prädestiniert dafür.<br />

Dazu bräuchte ich Abstand. Ich weiß<br />

zwar, wie schwer das Leben als Profi ist.<br />

Aber wenn du selbst einer warst, lässt<br />

man Ausreden, die man alle kennt, weil<br />

man sie selbst benutzt hat, nicht gelten.<br />

Das wäre nicht fair.<br />

Wenn du aufgehört hättest –<br />

welches Rennen wäre dir am<br />

meisten abgegangen?<br />

Ganz ehrlich: Bei der World Tour, wo jeden<br />

Tag irgendwo ein Rennen ist, würde<br />

mir wenig abgehen. Früher war in den<br />

Köpfen der Veranstalter nicht jedes Wochenende<br />

eine Rad-Weltmeisterschaft, da<br />

war der Sport um einiges angenehmer.<br />

Heute wird dir permanent alles abverlangt,<br />

ab Februar ist nur noch Radrennen.<br />

Das Radfahren an sich würde mir<br />

abgehen, die Rennen nicht. Obwohl sie<br />

natürlich auch Spaß machen. Aber Om-<br />

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