Margaret Fullers transnationales Projekt : Selbstbildung, feminine ...
Margaret Fullers transnationales Projekt : Selbstbildung, feminine ...
Margaret Fullers transnationales Projekt : Selbstbildung, feminine ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Self Culture: <strong>Margaret</strong> <strong>Fullers</strong> Bildungskonzept 111<br />
Der Optimismus der Zeit, der das intellektuelle Klima in Deutschland bestimmt<br />
und die Möglichkeiten des Individuums hervorhebt, sich zu verwirklichen und zu<br />
bilden, führt den amerikanischen Gelehrten, die sich für die Unabhängigkeit des<br />
Einzelnen aussprechen, vor Augen, dass sich der Mensch von äußeren Zwängen<br />
befreien und ein selbstbestimmtes Leben führen kann. 17<br />
Unter den Transzendentalisten übt Goethes Bildungskonzept insbesondere<br />
eine Faszination auf die junge <strong>Margaret</strong> Fuller aus, die, stark an der deutschen<br />
Literatur interessiert, in Goethes Werken eine wichtige Quelle der Inspiration<br />
findet. Durch die Bekanntschaft mit William Ellery Channing und durch die enge<br />
Freundschaft, die sie mit Ralph Waldo Emerson verbindet, wird <strong>Margaret</strong> Fuller<br />
mit zeitgenössischen Konzepten der <strong>Selbstbildung</strong> konfrontiert und angeregt, sich<br />
intensiver mit Problemen der Ich-Identität auseinander zu setzen. Die Bildung des<br />
Selbst nimmt einen zentralen Bestandteil in <strong>Fullers</strong> Leben ein, wie ihr Vertrauter<br />
James Freeman Clarke erklärt: „<strong>Margaret</strong>’s life had an aim[.] This aim, from the first<br />
to last, was SELF-CULTURE.“ 18 Die Bedeutung, die Goethe bei der Entwicklung von<br />
<strong>Fullers</strong> Bildungskonzept zukommt, wird bereits von Clarke hervorgehoben: „The<br />
good and the evil which flows from this great idea of self-development she fully<br />
realized. This aim in life, originally self-chosen, was made much more clear to her<br />
mind by the study of Goethe, the great master of this school.“ 19<br />
In Deutschland gewinnt der Bildungsbegriff zwischen 1770 und 1800 eine<br />
neue Bedeutung: Er wird zu einem Leitbegriff, der den Übergang zu einer Epoche<br />
charakterisiert, die sich durch offenere gesellschaftliche Strukturen auszeichnet und<br />
die die Individualität und Selbstbestimmung des gebildeten Menschen feiert. 20<br />
Hans-Georg Gadamer erläutert die Rolle, die der Bildungsbegriff im 18. Jahrhundert<br />
spielt: „Der Begriff der Bildung, der damals zu beherrschender Geltung aufstieg,<br />
war wohl der größte Gedanke, des 18. Jahrhunderts, und eben dieser Begriff<br />
bezeichnet das Element, in dem die Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts<br />
leben[.]“ 21 Der Begriff ‚Bildung‘ bezeichnet ursprünglich „sowohl ‚Bild‘, ‚Abbild‘,<br />
‚Ebenbild‘, (imago) und ‚Nachbildung‘ (imitatio) als auch ‚Gestalt‘ (forma) und<br />
‚Gestaltung‘ (formatio)“ und bezieht sich im späten Mittelalter auf religionstheoretische<br />
Diskussionen. 22 In der spätmittelalterlichen Mystik bedeutet Bildung<br />
„‚Umbildung‘, also Umgestaltung des mit der Erbsünde belasteten Menschen“<br />
sowie „‚Überbildung‘, nämlich Einbildung des göttlichen Bildes im Menschen”. 23<br />
Während sich der Begriff ‚Bildung‘ bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
sowohl auf die äußere Gestalt als auch auf die Bildung des Intellekts, der Sitte und<br />
17 Vgl. FRY, Elective Affinities, 2.<br />
18 EMERSON, CHANNING & CLARKE, Memoirs, I:132.<br />
19 EMERSON, CHANNING & CLARKE, Memoirs, I:133.<br />
20 Vgl. LICHTENSTEIN, „Bildung“, 7.<br />
21 GADAMER, Wahrheit und Methode, 7.<br />
22 SELBMANN, Der deutsche Bildungsroman, 1.<br />
23 SELBMANN, Der deutsche Bildungsroman, 1.