10.01.2013 Aufrufe

Margaret Fullers transnationales Projekt : Selbstbildung, feminine ...

Margaret Fullers transnationales Projekt : Selbstbildung, feminine ...

Margaret Fullers transnationales Projekt : Selbstbildung, feminine ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

192<br />

Bilder des Weiblichen: <strong>Margaret</strong> Fuller und die frühromantische Schule<br />

Symbol der Nacht von Bedeutung, das für tiefere Einsicht und Erfüllung steht. In<br />

dem Abschnitt „Sehnsucht und Ruhe“ vergleicht Julius Lucinde mit einem<br />

mystischen Wesen aus dem Reiche der Nacht und bezeichnet die Geliebte als<br />

Priesterin dieser geheimnisvollen Welt:<br />

Nur in der Nacht singt Klagen, sprach Julius, die kleine Nachtigall und<br />

tiefe Seufzer. Nur in der Nacht eröffnet sich die Blume schüchtern und<br />

atmet frei den schönsten Duft, um Geist und Sinne in gleicher Wonne<br />

zu berauschen. Nur in der Nacht, Lucinde, strömet tiefe Liebesglut und<br />

kühne Rede göttlich von den Lippen, die im Geräusch der Tage ihr<br />

süßes Heiligtum mit zartem Stolz verschließen. [...] Gedenke, Du bist<br />

die Priesterin der Nacht. Im Strahl der Sonne selbst verkündigt’s der<br />

dunkle Glanz der vollen Locken, der ernsten Augen lichtes Schwarz,<br />

der hohe Wuchs, die Majestät der Stirn und aller edler Glieder. 94<br />

Diese Nachtbegeisterung erinnert den Leser an Novalis’ Bestimmung der Nacht:<br />

Wie sein Vertrauter Friedrich Schlegel assoziiert Novalis die Nacht mit Rausch,<br />

Erkenntnis und Ursprünglichkeit und beschreibt die Frau als ein Wesen dieser<br />

anderen Welt.<br />

Sowohl Lucinde als auch die Figur der Sophie aus Novalis’ Hymnen an die<br />

Nacht erscheinen als Herrscherinnen der Nacht, die über eine starke erotische<br />

Ausstrahlung verfügen und ihr männliches Gegenüber in die Geheimnisse der<br />

nächtlichen Welt einführen. Novalis bewertet die Nacht neu, die in seinen Augen<br />

nicht für negative Kräfte, Sünde oder Elend steht, sondern als ein<br />

lebensspendendes Prinzip und Medium sinnlicher und religiöser Erfahrung gefeiert<br />

wird. 95 Novalis’ Priesterin der Nacht Sophie begegnet dem Sprecher in seinen<br />

Träumen und tritt als die zentrale Figur dieser anderen Welt auf, die der Welt des<br />

Lichtes und des Tages antithetisch gegenübergestellt wird. Stärker als Schlegel<br />

betont Novalis, dass die Nacht für den Sprecher eine Offenbarung bedeutet und<br />

ihm Zugang zu den Tiefen seines Selbst verschafft. Sophie ist die Schlüsselfigur, die<br />

das Reich der Nacht, das für die Psyche des Menschen steht, öffnen kann. In der<br />

ersten Hymne lobpreist das lyrische Ich die mystische Nacht und besingt die<br />

Königin und Priesterin der Nacht, die ihm die tiefe Erkenntnis verschafft:<br />

Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen<br />

Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie als die blässesten<br />

jener zahllosen Heere – unbedürftig des Lichts durchschaun sie die<br />

Tiefen eines liebenden Gemüts – was einen höheren Raum mit<br />

unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen<br />

Verkünderin heiliger Welten, der Pflegerin seliger Liebe – sie sendet<br />

mir dich – zarte Geliebte – liebliche Sonne der Nacht, – nun wach ich<br />

94 F. SCHLEGEL, Lucinde, 135-36.<br />

95 Vgl. BÄCHTHOLD-STÄUBLI & HOFFMANN-KRAYER. Handwörterbuch des deutschen<br />

Aberglaubens, 767-94.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!