Margaret Fullers transnationales Projekt : Selbstbildung, feminine ...
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<strong>Margaret</strong> <strong>Fullers</strong> integratives Konzept einer Nationalliteratur und die deutsche Literatur 47<br />
Ferner spielt Marsh auf Schlegels Ausführungen zur romantischen Literatur an,<br />
wenn er betont, die Sagen des Mittelalters, die er als „inexhaustible treasures of<br />
legendary lore“ bezeichnet, sollten bewahrt werden und die zeitgenössischen<br />
Dichter inspirieren. 86 In Anlehnung an frühromantische Begriffsbestimmungen<br />
verwendet Marsh den Begriff ‚modern‘ für eine Poesie, die sich der inneren Welt,<br />
dem Phantastischen und Irrealen zuwendet. Wie die Frühromantiker benutzt Marsh<br />
den Begriff ‚modern‘ als einen Epochenbegriff für die Moderne – das späte<br />
Mittelalter und die Renaissance – und stellt ihr die Antike gegenüber. 87 Marsh<br />
erklärt, es bestehe eine Verwandtschaft zwischen der modernen Dichtung und der<br />
zeitgenössischen europäischen Literatur. In seiner Geschichte der romantischen Literatur<br />
betont August Wilhelm Schlegel die geistige Nähe zwischen der zeitgenössischen<br />
deutschen Poesie und der Dichtung des Mittelalters. Schlegel erläutert: „Übrigens<br />
liegt unserm Geist und Gemüt unstreitig die romantische Poesie näher als die<br />
klassische[.]“ 88<br />
James Marsh betrachtet die Literatur jedoch auch von einer amerikanischen<br />
Perspektive und betont den gemeinsamen Ursprung der amerikanischen und<br />
europäischen Literatur aus der klassischen und mittelalterlichen Literatur. 89 Marsh<br />
stellt eine Verbindung zwischen der mittelalterlichen Dichtung und der<br />
zeitgenössischen deutschen Poesie her, die er als Zeugnis des „philosophical age“<br />
charakterisiert, das eine Literatur hervorbringe, die sich durch Intuition und<br />
Introspektion auszeichne, und impliziert, dass für Amerika die Möglichkeit bestehe,<br />
eine Literatur zu schaffen, die Gleichwertigkeit gegenüber den europäischen<br />
Literaturen besitze: 90<br />
The arts accordingly, and especially poetry, have reached their highest<br />
elevation in periods, when religion, and the great business of securing<br />
national independence and freedom have awakened men to serious<br />
feeling and to bold and vigorous action. 91<br />
<strong>Margaret</strong> Fuller greift auf eine zentrale These, die Marsh vertritt, zurück und stellt<br />
Werte wie Innerlichkeit und Intuition heraus – Eigenschaften, die nach der<br />
Darstellung in Marshs Aufsatz die moderne Literatur kennzeichnen. Von ihrem<br />
Bezugstext abweichend, bezieht sich Fuller jedoch nicht auf das späte Mittelalter<br />
und die Renaissance, sondern eindeutig auf eine jüngere Epoche in der deutschen<br />
Literatur und beschreibt die Dichtung der deutschen Romantik als ‚modern‘. Fuller<br />
fordert auch für Amerika eine moderne Literatur und geht einen Schritt weiter als<br />
Marsh, indem sie in diesem Zusammenhang explizit kulturelle Unabhängigkeit von<br />
Großbritannien verlangt und darlegt, inwieweit die britische Literatur eine<br />
86 MARSH, „Ancient and Modern Poetry“, 125.<br />
87 Vgl. PIKULIK, Frühromantik, 77.<br />
88 A.W. SCHLEGEL, Geschichte der romantischen Literatur, 19.<br />
89 Vgl. FRANK & MUELLER-VOLLMER, The Internationality of National Literatures, 253.<br />
90 MARSH, „Ancient and Modern Poetry“, 122.<br />
91 MARSH, „Ancient and Modern Poetry“, 97.