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230 Reviews<br />
Die Aufsätze im zweiten Teil des Sammelbandes gehen weniger der Frage<br />
nach direkten politischen Verbindungen zwischen der Islamischen Republik und<br />
schiitischen Gemeinschaften außerhalb des Irans nach, sondern suchen eher die<br />
Verortung dieser Gemeinschaften innerhalb nationaler Identitätskonstruktionen<br />
und fragen nach dem Einfluss, den der Iran auf diese Identitätskonstruktionen<br />
hat. Geographisch geht es hier vor allem um Regionen, in denen sich die schiitische<br />
Identität durch politische Transformation oder Bevölkerungswanderungen<br />
innerhalb der letzten Jahrzehnte verändert hat.<br />
Bayram Balci und Boris Petric gehen in ihren Artikeln der Frage nach der<br />
Rolle der Schia in den postsowjetischen Republiken Zentralasiens nach. Balci<br />
beschäftigt sich mit der mehrheitlich schiitischen Bevölkerung Aserbaidschans<br />
(S. 167–192), während sich Petric mit der schiitischen Minderheit der „Ironis“<br />
in Usbekistan auseinandersetzt (S. 193–214). Beide Gruppierungen sind seit den<br />
90er Jahren verstärkt im öffentlichen Raum zu sehen und versuchen, sich im<br />
neuen nationalen Diskurs zu verorten. Die schiitische Gemeinschaft Aserbaidschans,<br />
die die dortige Bevölkerungsmehrheit bildet, hat hier jedoch mehr Möglichkeiten,<br />
während den „Ironis“ in Usbekistan zwischen einer zunehmenden<br />
Sunnitisierung, Usbekisierung sowie einer anti-religiösen Einstellung der Regierung<br />
die Behauptung einer schiitischen Identität schwerer fällt. Beide Gruppierungen<br />
sind iranischem Einfluss ausgesetzt, der aber einen weniger dominanten<br />
Platz einnimmt.<br />
Auch Thierry Zarcone behandelt in seinem Aufsatz (S. 139–166) schiitische<br />
Identitäten im sunnitischen und gleichzeitig säkularen Kontext der Türkischen<br />
Republik. Diese schiitische Identität formiert sich bisher vor allem zwischen einer<br />
ethnischen Zugehörigkeit als Adaris und einer religiösen Identifikation als Schiiten<br />
und muss in diesem Kontext betrachtet werden.<br />
Ähnlich unterforscht wie die schiitische Gemeinschaft der Türkei ist auch der<br />
schiitische Islam in Afrika. Mara A. Leichtman beschäftigt sich in ihrem Aufsatz<br />
(S. 215–250) mit der libanesisch-schiitischen Diaspora im Senegal sowie schiitisch<br />
senegalesischen Konvertiten. Obwohl sie eine steigende Schiitisierung der libanesischen<br />
Migranten sowie der senegalesischen Konvertiten beschreibt, in der<br />
auch der Einfluss der Islamischen Republik eine Rolle spielt, betont Leichtman<br />
dennoch, dass es zu keiner Vermischung beider Gruppen kommt. Vielmehr seien<br />
beide als eigenständige ethnische wie sozioökonomische Entitäten zu betrachten.<br />
Die politischen Entwicklungen und identitären Transformationen innerhalb<br />
der schiitischen Welten in den letzten Jahrzehnten sind begleitet von vielschichtigen<br />
theoretischen Debatten, die diese Transformationen wiederum entscheidend<br />
beeinflussen und auch zu der Entstehung neuer politischer Bewegungen<br />
führte. Mit diesen neuen Trends beschäftigt sich der dritte Teil des Sammelbands.