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Reviews 233<br />

Inhaltlich gegliedert ist der Band nach vier grossen Themenbereichen, auf<br />

die ich im Folgenden eingehe. Als Klammer dienen zwei Beiträge von Arnd-Michael<br />

Nohl. In dieser herausgeberischen Klammer liegt ein wesentlicher Wert<br />

des Bandes. Sie macht die Einteilung der inneren Teile plausibel und führt deren<br />

Inhalt auf eine höhere Reflexionsebene. Eingelöst wird so der freilich bescheidene<br />

Anspruch der Herausgeber, der „‘immanenten Ordnung des Wandels’ (Elias<br />

2006: 200) im türkischen Bildungssystem nachzuspüren“ (S. 11). Gesellschaftlicher<br />

Wandel kann dabei nach dem Credo der Herausgeber „nicht als intendiert<br />

herbeigeführter Prozess gedacht werden“, sondern „ergibt sich vielmehr, so<br />

Elias, aus der ‘Konsequenz der Verflechtungen von Aktionen vieler interdependenter<br />

Menschen’“ (ebd.).<br />

Diese Sicht bietet zugleich einen Ausweg aus dem scheinbar unversöhnlichen<br />

Gegensatz der beiden klassischen analytischen Sichtweisen auf Bildung:<br />

Die eine schreibt ihr vor allem eine reproduktive Funktion für die Gesellschaft zu,<br />

die andere eine transformative. Von diesen beiden analytischen Paradigmata ist<br />

in den Einzelbeiträgen vor allem das zweite stark vertreten, insbesondere unter<br />

den Autorinnen und Autoren mit türkischem Hintergrund. Gerade bei ihnen ist<br />

damit häufig ein spürbarer normativer Impuls verbunden, was zwar verständlich,<br />

der analytischen Schärfe aber abträglich ist. Im Folgenden seien deshalb<br />

speziell diejenigen Beiträge erwähnt, die zum erwähnten Ziel des Bandes Substantielles<br />

beisteuern.<br />

In der Einführung (S. 17–41) zeigt Arnd-Michael Nohl, wie aus dem wesentlich<br />

religiös geprägten osmanischen Bildungswesen in mehreren Schritten das heutige<br />

weitgehend säkulare türkische Bildungssystem wurde. Die Initiative ging stets<br />

vom Staat aus, jedoch als Reaktion auf jeweils unterschiedliche Faktoren. Dienten<br />

die religiös geprägten Schulen bis Ende des 18. Jahrhunderts der Vorbildung künftiger<br />

Beamter, so verschoben die militärischen Niederlagen jener Zeit die Prioritäten.<br />

Die Militärmedizinschule (1827) und die Militärakademie (1834) stehen für<br />

den Wunsch, auf machtpolitisch relevanten Gebieten mit dem überlegenen Ausland<br />

wieder gleichzuziehen und auch dessen effiziente Organisationsstruktur zu<br />

übernehmen. Um die geeigneten Beamten neuen Typs zu rekrutieren, wurde folgerichtig<br />

schon damals eine (minimale) Grundschulpflicht für Knaben eingeführt,<br />

wenngleich erst im 20. Jahrhundert auch durchgesetzt (S. 21). Da die Vorbildung<br />

der Anfänger in den Fachschulen sich jedoch als ungenügend erwies, wurden im<br />

zweiten und dritten Drittel des 19. Jahrhunderts Schulen der Sekundar- und Tertiärstufe<br />

eingerichtet, zur Leitung des ganzen Systems aber auch 1857 das Ministerium<br />

für öffentliche Erziehung. Liefen religiöse und säkulare Bildungswege in den<br />

ersten Jahrzehnten noch parallel, wenn auch mit zunehmender Konkurrenz, so<br />

wurde mit dem Aufstieg der Jungtürken und vollends mit dem Sieg der Kemalisten<br />

der säkulare Weg die Norm. Die radikalen Maßnahmen der 1920er Jahre (Schlie-

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