Zwischen Mnemotechnik und Sammlungstheorie - Seminar für ...
Zwischen Mnemotechnik und Sammlungstheorie - Seminar für ...
Zwischen Mnemotechnik und Sammlungstheorie - Seminar für ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Eigenschaften“ exotischer Edelsteine 427 <strong>und</strong> nutzten die Heil- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkräfte<br />
verschiedener Objekte 428 .<br />
B. 3 Die Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern 429<br />
Die Entstehung der Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern wird auf das 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
datiert. Beginnend in Italien, fanden die Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern in der<br />
zweiten Hälfte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts ihren Weg in alle europäischen Länder. Es<br />
handelte sich um ein gesamteuropäisches Phänomen. 430<br />
Die Entstehung der Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern ist schwer nachvollziehbar.<br />
Pomian sieht die Entstehung dieser Sammlungen in der Veränderung der Objekte<br />
die gesammelt wurden. Er benennt die Entstehung einer „neue(n) soziale(n)<br />
Gruppe“ 431 , die sich <strong>für</strong> antike Schriften interessierte <strong>und</strong> anhand der Inhalte der<br />
Schriften eine Verbindung zu antiken Objekten fand, die bis dato eher als Abfall<br />
galten. Diese Gruppe, so Pomian, seien die Humanisten. Eine weitere<br />
Veränderung sei die Zunahme der Reisetätigkeiten im 15. Jahrh<strong>und</strong>ert, die neue<br />
Gräber von Heiligen wurden zu Kultstätten oder man öffnete sie <strong>und</strong> eignete sich die begehrten<br />
Teile an. Ob Zähne, Haare, Schädelfragmente oder Fetzen von Leichentüchern, diese Objekte<br />
wurden kostbar eingehüllt, gesammelt <strong>und</strong> gehandelt. Friedrich der Weise, der Mäzen Luthers,<br />
eignete sich eine Reliquiensammlung von 18.970 Einzelstücken an. Eine Sammlung, die dem<br />
Besitzer 1.902.202 Jahre Fegefeuer erließen.<br />
Vgl. Böhme, Hartmut: Der Körper als Bühne. In: Helmar Schramm (Hg.), Bühnen des Wissens.<br />
Interferenzen zwischen Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst. Berlin 2003, S.111.<br />
427 Daston / Park: W<strong>und</strong>er <strong>und</strong> die Ordnung der Natur, S. 91f.<br />
428 So glaubte man, dass Narrwalzähne, die <strong>für</strong> das Horn eines Einhorns gehalten wurden, Gifte in<br />
Speisen oder Getränken anzeigen oder Bezoarsteine (persisch Bad-sahr, Gegengift, klumpige<br />
Ausscheidungen aus den Eingeweiden von Ziegen, Pferden oder Lamas), so man sie über dem<br />
Herzen trägt, Melancholie vertreiben.<br />
Eine ausführliche Untersuchung dieser Thematik findet sich in einem Artikel von Heinrich<br />
Pogatscher, der anhand von Quellen zu Giftprozessen im 14. Jahrh<strong>und</strong>ert den Nachweis <strong>für</strong> die<br />
Verwendung dieser Materialien bringt.<br />
Vgl. Heinrich Pogatscher: Von Schlangenhörnern <strong>und</strong> Schlangenzungen vornehmlich im 14.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erte (sic!). In: Anton de Waal <strong>und</strong> Stephan Ehses (Hg.), Römische Quartalschrift <strong>für</strong><br />
christliche Alterthumsk<strong>und</strong>e (sic!) <strong>und</strong> <strong>für</strong> Kirchengeschichte. Rom 1898.<br />
429 Zur Suche möglicher Inventare ist die Arbeit von Balsinger zu emphelen, die eine Vielzahl von<br />
Sammlungen nennt, zu einigen dieser Sammlungen Zusammenfassungen bietet <strong>und</strong> darüber hinaus<br />
Gr<strong>und</strong>lagen zu den Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern bietet.<br />
Balsinger, B.J.: The Kunst- <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erkammern. A Catalogue raisonné of Collecting in<br />
Germany, France and England, 1565-1750. Diss., Pittsburgh 1970.<br />
430 „Die Beschreibungen der ausländischen Sammlungen lehren andererseits, dass diesen eine<br />
Theorie zugr<strong>und</strong>e liegt, die sich von der in Deutschland gepflegten nicht wesentlich unterscheiden<br />
kann.“<br />
Berliner: Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre in Deutschland, S. 350 (140).<br />
Die Ausführungen zu diesem Thema in Bredekamps Antikensehnsucht <strong>und</strong> Maschinenglauben<br />
belegen selbiges.<br />
431 Pomian: Der Ursprung des Museums, S. 56.<br />
109