Brennpunkt Esoterik - AGPF
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12 Okkultismus<br />
der Gleichbehandlung aller Religionen durch die Religionswissenschaft die Frage<br />
nach den individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen solcher religiösen Gebilde<br />
ausblenden und methodische Gleichbehandlung mit Kritiklosigkeit verwechseln.<br />
Damit werden <strong>Esoterik</strong> und Okkultismus auch zu einem Problem des universitären<br />
Faches Religionswissenschaft.<br />
Okkultismus und <strong>Esoterik</strong> geben ihre Lehren, da sie von der Wissenschaft nicht anerkannt<br />
sind, als „höheres Wissen“, bisweilen als ein der ganzen „archaischen Menschheit“<br />
bekanntes und im wissenschaftlichen Zeitalter verlorenes Wissen aus. Viele <strong>Esoterik</strong>er<br />
und Okkultisten konstruieren geheime Traditionen, bescheidenere nur bis zur<br />
Wiederentdeckung der hermetischen Schriften in der Renaissance, und versuchen eine<br />
besondere esoterische Denkform nachzuweisen. Andere führen diese Linie weiter bis<br />
zum Schamanismus, der zu einer Urreligion der Menschheit stilisiert wird. Wenn man<br />
sich allerdings den Schamanismus der Tungusen, Buriaten und anderer sibirischer<br />
Völker ansieht, von denen die Bezeichnung Schamanismus stammt, muss man feststellen,<br />
dass die moderne <strong>Esoterik</strong> und der moderne Okkultismus mit diesen kaum<br />
etwas gemeinsam hat. <strong>Esoterik</strong> und Okkultismus müssen den Schamanen, Hexen und<br />
anderen Gestalten früherer Religionen und Kulturen Kenntnisse, Wissen und ein Denken<br />
unterschieben, das sich in deren Überlieferungen nicht aufweisen lässt. Dieses angebliche<br />
Wissen ist mit den Erfahrungen der damaligen Menschen sowohl in ihren sozialen<br />
Beziehungen wie ebenso in denen zur äußeren Natur nicht in Übereinstimmung<br />
zu bringen. <strong>Esoterik</strong> und Okkultismus sind geprägt von „imaginierten<br />
Traditionsbildungen“, wie eine ihrer wissenschaftlichen Anhängerinnen bekennt.<br />
Andere betrachten Okkultismus als Glaubensgebilde. Mit ihm sei es möglich, Glaube<br />
und Wissen, die (nicht nur) in der europäischen Religion und Wissenschaft unterschieden<br />
werden, ganzheitlich zusammenzuführen. Ganzheitlichkeit, oder vornehmer<br />
auf Griechisch Holismus, ist ein Zauberwort der <strong>Esoterik</strong>. Aber man darf sich dadurch<br />
nicht irreführen lassen. Niemand kann sagen, was Ganzheitlichkeit ist. Das<br />
Wort drückt einen Anspruch aus, das Ganze zu denken und ganzheitlich zu handeln.<br />
Sofern mit einem solchen Anspruch gemeint ist, dass man auch die nicht unmittelbar<br />
auf der Hand liegenden Umstände, Beteiligten, Folgen usw., sondern z.B. auch<br />
zukünftige Generationen bei Planungen berücksichtigen sollte, hat ein solcher Anspruch<br />
etwas richtiges. Doch auch dies bleibt begrenzt. Denken kann man nur Bestimmtes,<br />
Einzelnes. In jeder wirklichen Aussage wie in jeder wirklichen Handlung<br />
kann man sich nur auf Bestimmtes beziehen, durch das anderes ausgeschlossen wird.<br />
Ganzheitlichkeit kann nicht verwirklicht werden und der Ausdruck wird zum semantischen<br />
Dunst ohne jeden Inhalt. Er erweist sich als ideologisches Konzept.<br />
Der französische Forscher A. Faivre 16 hat <strong>Esoterik</strong> als eine besondere „Denkform“<br />
angesehen und dann alles in der abendländischen Geschichte, besonders seit der<br />
Renaissance dazu gerechnet, was dieser Denkform irgendwie in Schriften, Bildern,<br />
16 Vgl. Antoine Faivre: <strong>Esoterik</strong> im Überblick. Geheime Geschichte des abendländischen Denkens,<br />
Freiburg: Herder 2001. An Faivre haben sich Wouter J. Hanegraaff: New Age Religion and Western<br />
Culture, Leidern: Brill 1976 und K. von Stuckrad: Was ist <strong>Esoterik</strong>, München: Beck 2004 angeschlossen.