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Brennpunkt Esoterik - AGPF

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48 Okkultismus<br />

kolonialistischer, europäisch orientierter Religionsbegriff zugrundegelegt; Kolonialismus<br />

weisen <strong>Esoterik</strong>er ansonsten heftig ab. Mit Kolonialismus wollen sie nichts zu tun<br />

haben. Dass sie nach dem (abgelehnten) materiellen Kolonialismus nun einen Bewusstseinskolonialismus<br />

betreiben, indem sie die geistigen Schöpfungen der außereuropäischen<br />

Kulturen ausbeuten, entgeht freilich ihrer Wahrnehmung.<br />

Okkultisten und <strong>Esoterik</strong>er entnehmen außereuropäischen Kulturen und Religionen<br />

Gegenstände aber auch Kulte und Symbole, die in diesen Kulturen eine soziale Bedeutung<br />

hatten oder haben, indem in diesen dort die von diesen Religionen gestiftete<br />

moralische und soziale Gemeinschaft anschaubar wird. Diese Bedeutung haben die<br />

Gegenstände, Kulte und Symbole durch die Anerkennung dieser Bedeutung in ihrer<br />

jeweiligen Gemeinschaft. Den Gegenständen, wie z.B. einer tibetischen Klangschale<br />

oder einem Vadjra (Donnerkeil) haftet als solchem keine heilige oder religiöse Bedeutung<br />

an. Ebenso wird ein Handlungsablauf erst in einer sozialen Gemeinschaft zu<br />

einem Kultus. Und ein Gegenstand wird erst durch die soziale Anerkennung seiner<br />

Gemeinschaft zu einem Symbol, indem ihm die soziale Gemeinschaft die Qualität,<br />

mehr zu sein als sein dinglicher Träger, zuschreibt.<br />

Bedeutungszuschreibungen sind geistige Taten einer sozialen Gemeinschaft, durch<br />

diese erhalten sie selber Verbindlichkeit. Wenn man einen heiligen Gegenstand, einen<br />

Handlungsablauf oder ein Symbol aus ihrem sozialen Zusammenhang herauslöst<br />

und diese nach Europa transportiert, verlieren sie mit dem Verlust ihrer die Bedeutungen<br />

anschauenden und verbürgenden sozialen Gemeinschaft die Bedeutungen<br />

selber. Sie sind nur noch ein Gegenstand, ein Handlungsablauf und entleertes Symbol,<br />

mit dem jeder <strong>Esoterik</strong>händler auf den Eso-Messen und anderswo seinen Handel und<br />

Verdienst machen kann.<br />

Die spezifisch religiöse Qualität, die sie in ihren Herkunftsländern einmal hatten,<br />

indem sie eine moralische und solidarische Gemeinschaft repräsentierten, ist mit diesen<br />

Gemeinschaften verschwunden. Ob in Europa neue soziale Gemeinschaften an<br />

deren Stelle treten (können), bleibt ungewiss und zweifelhaft. <strong>Esoterik</strong>er suchen im<br />

Gebrauch von diesen Gegenständen und Handlungsabläufen ihren individuellen Zugang<br />

zu einem Jenseitigen, Außergewöhnlichen, vielleicht auch Heiligen; soziale Gemeinschaften<br />

bringen sie von Ausnahmen abgesehen nicht zustande und wollen solche<br />

auch gar nicht, da diese ihre subjektive Freiheit einschränken würden. Insoweit<br />

fehlt der <strong>Esoterik</strong> und dem Okkultismus eine wesentliche Qualität aller Religionen,<br />

moralische und solidarische Gemeinschaften zu konstituieren. 91<br />

Die soziale Gemeinschaft, die durch die gemeinsame Anerkennung von Gegenständen,<br />

Handlungsabläufen, Lehren usw. eine Religion konstituiert, hatte auch immer ihr<br />

Heiliges geschützt und einem individuell willkürlichen Gebrauch entzogen. In den<br />

Religionen werden Symbole, moralische Lehren, Gott und Götter für den einzelnen<br />

91<br />

Vgl. E. Durkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, dt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp<br />

1981, S. 75.

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