Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Literatur<br />
des politischen Systems erzwingt geradezu eine<br />
Moderierung politischer Positionen und entschärft<br />
damit deren Einfluss und Bedeutung. Und<br />
genau hier bleibt ein erheblich bitterer Lektürenachgeschmack.<br />
Systemtheoretisch ist diese<br />
Schlussfolgerung sicherlich richtig: Das politische<br />
System der USA ist in der Lage, solche<br />
Oppositionen zu integrieren.<br />
Den reinen Funktionserhalt aber, unabhängig<br />
davon, ob eher ,konservativ‘ oder eher ,liberal‘<br />
schon als demokratiefähig zu feiern, bleibt<br />
doch fragwürdig. Denn auch wenn das System<br />
,funktioniert‘, hat die politische Verschiebung<br />
in den USA, zu der die neue christliche Rechte<br />
ihren Teil beiträgt, erhebliche physische Auswirkungen<br />
auf eine Reihe von Menschen, um<br />
es einmal vorsichtig zu formulieren: auf die vierzig<br />
Millionen Armen, 20 Prozent Analphabeten,<br />
auf die 15 Prozent der Bevölkerung, die<br />
nicht krankenversichert sind, oder auf die Opfer<br />
des ,Kriegs gegen den Terror‘ (die eigenen<br />
und die in Afghanistan, Irak und anderswo).<br />
Die politische Stabilität eines Systems an sich<br />
kann wohl kaum ein Kriterium für seine Demokratiefähigkeit<br />
sein. Es sei denn, man versteht<br />
unter Demokratie die nicht vorrangig repressive<br />
Reproduktion eines politischen Systems.<br />
Solche Definitionen sind zwar heute durchaus<br />
üblich, aber theoretisch nicht abgedeckt und aus<br />
der Perspektive der Opfer solcher Systeme<br />
schon gar nicht legitimierbar.<br />
Wenn man aber von dieser Hintergrundannahme<br />
absieht und sich seine eigenen Gedanken<br />
macht, ist das Buch eine material- und detailreiche<br />
Rekonstruktion der Geschichte und Politik<br />
der führenden Personen und wichtigsten Organisationen<br />
der christlichen Rechten in den USA.<br />
Michael Ramminger, Münster<br />
Besprochene Literatur<br />
Brocker, Manfred 2004: Protest – Anpassung<br />
– Etablierung. Die christliche Rechte im<br />
politischen System der USA. Frankfurt/ New<br />
York: Campus.<br />
Jesus Freaks – ganz normale<br />
Gläubige?<br />
107<br />
Im Feuilleton wird derzeit allerorts ein Comeback<br />
der Religionen bei Jugendlichen vor allem<br />
im islamischen und christlichen Sektor prognostiziert.<br />
Dies löst Beunruhigungen aus, scheinen<br />
diese neureligiösen Trends doch nicht unbedingt<br />
mit den Idealen einer modernen, toleranten<br />
Zivilgesellschaft kompatibel zu sein, wie<br />
zuletzt bei den US-Wahlen der wahlentscheidende<br />
Machtfaktor ,Evangelisten‘ gezeigt hat.<br />
Und in der Tat ist nicht alles progressiv, was da<br />
heranwächst, selbst wenn es im schrillen Gewand<br />
der Punks und Techno-Jünger daherkommt<br />
wie bei den so genannten Jesus Freaks:<br />
Homosexualität und Kiffen ist ,eine Sünde wie<br />
Mord oder Lügen‘, ebenso Sex vor der Ehe,<br />
Scheidung, Abtreibung oder ,Rebellion‘ – erklären<br />
die 16- bis 30-jährigen Jesus Freaks, die<br />
in der neuen Szene-Studie von Klaus Farin und<br />
seinen MitstreiterInnen beim Archiv der Jugendkulturen<br />
zu Wort kommen. Zwar sprechen sie<br />
sich zumeist gegen gesellschaftliche Repressionen<br />
aus und bezeichnen ihre Haltung als ,individuelle<br />
Glaubenseinstellung‘, die sie durch<br />
,Überzeugung‘, nicht Sanktionen unter den<br />
Menschen verbreiten wollen, doch die unbefangene<br />
Leserin fragt sich unwillkürlich: noch?<br />
Und was ist, wenn diese in den Interviewporträts<br />
durchaus sympathisch-freundlich wirkenden<br />
,Freaks‘ älter und vielleicht einflussreicher<br />
werden und ihre jugendgemäße Toleranz allmählich<br />
verlieren? Halten sie, die eifrigen Missionare<br />
im Auftrag des Herrn, den Widerspruch<br />
zwischen ihrem zutiefst fundamentalistischfrommen<br />
Glauben, der die Bibel eins zu eins<br />
ohne historische Abstriche zur moralischen<br />
Grundhaltung ihres Lebens erklärt, und dem<br />
doch aus ihrer Perspektive unsäglich hedonistisch-liberalen<br />
Leben ihrer Umwelt aus? Noch<br />
ist es verfrüht und polemisch, die diversen<br />
Gruppierungen ,wiedergeborener Christen‘ am<br />
Rande der Amtskirchen wie die derzeit in