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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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34<br />

nisse einschließen. Die aus den zentralen Glaubensinhalten<br />

abgeleiteten Prinzipien gesellschaftlicher<br />

Ordnung – etwa das der Gerechtigkeit<br />

– sind darüber hinaus so anschlussfähig,<br />

dass es kaum ein Thema gibt, dass nicht als<br />

Feld religiöser Verantwortung ausgezeichnet<br />

werden könnte.<br />

Allerdings ist die Aktivierung religiöser Organisationen<br />

als Unterstützer sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />

häufig mit erheblichen innerorganisatorischen<br />

Konflikten verbunden. Denn religiöse<br />

Organisationen konstituieren sich ja in der Regel<br />

interessenunspezifisch, und daher spiegelt<br />

sich in der Mitgliedschaft zumeist ein breites<br />

Spektrum der heterogenen gesellschaftlichen<br />

Interessen und Werthaltungen wider. Jede politische<br />

Positionierung religiöser Organisationen,<br />

wie sie etwa die Entscheidung für die Unterstützung<br />

einer spezifischen Bewegung darstellt,<br />

kann daher zur Kristallisation dieser heterogenen<br />

Interessen und Werthaltungen führen und<br />

in Konflikte münden.<br />

Die Rolle religiöser Organisationen in und<br />

für soziale <strong>Bewegungen</strong> beschränkt sich jedoch<br />

nicht nur darauf, materielle, personelle und organisatorische<br />

Ressourcen zur Verfügung zu<br />

stellen. Vielmehr können religiöse Traditionen<br />

auch einen erheblichen Beitrag zur individuellen<br />

Motivierung von Engagement leisten, etwa<br />

durch die transzendente Legitimation von Zielen,<br />

die Bereitstellung von Symbolen, die Tradierung<br />

und Vermittlung moralischer Prinzipien<br />

wie Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und<br />

Gleichheit sowie die Beförderung individueller<br />

Orientierungen, die Altruismus oder den Einsatz<br />

bzw. das Opfer für eine gute Sache verlangen<br />

(Smith 1996a: 9-13; vgl. auch Wood 1999:<br />

308). 5 Denn trotz aller Unkenrufe vom fortgeschrittenen<br />

Stand der Säkularisierung sind etwa<br />

die christlichen Kirchen auch in Europa nach<br />

wie vor wichtige Agenturen moralischer Sozialisation<br />

und Sensibilisierung.<br />

Der sogenannte ‚cultural turn‘ in den Sozialwissenschaften<br />

insgesamt sowie auch in der<br />

Ulrich Willems<br />

Bewegungsforschung hat die Aufmerksamkeit<br />

jedoch noch auf einen weiteren Aspekt der Rolle<br />

der Religion als Ressource für soziale <strong>Bewegungen</strong><br />

gerichtet. Im Zentrum dieses ‚cultural<br />

turn‘ stehen die kollektive Dimension der Kultur<br />

in Form von Symbolen, Praktiken und Weltverständnissen<br />

und ihre strukturierenden Effekte<br />

als ermöglichende und restringierende Bedingung<br />

sozialen Handelns sowie gesellschaftlicher<br />

und politischer Wirkung. 6 Der Religion<br />

kommt in einer solchen Analyse deshalb ein<br />

prominenter Stellenwert zu, weil die religiösen<br />

Mehrheitstraditionen vieler Länder tiefe Spuren<br />

in der politischen Kultur hinterlassen haben und<br />

auch heute noch große Teilkulturen prägen (vgl.<br />

für die USA Williams 1999; Wood 2002).<br />

4.2 Gemeinsame Herausforderungen<br />

und Probleme sozialer und<br />

religiöser <strong>Bewegungen</strong><br />

Zu den Gründen für die Vernachlässigung des<br />

religiösen Faktors in der Bewegungsforschung<br />

ist weiter oben die wechselseitige Abschottung<br />

der soziologischen Teildisziplinen Bewegungsforschung<br />

und Religionssoziologie gezählt worden.<br />

Die Perspektive einer interdisziplinären Erforschung<br />

von religiösen Organisationen und<br />

<strong>Bewegungen</strong> und Protestmobilisierung in modernen<br />

Gesellschaften eröffnet sich, wenn hinreichende<br />

Gemeinsamkeiten in Form von Strukturähnlichkeiten<br />

bzw. Herausforderungen existieren<br />

und/oder sich die jeweiligen Gegenstände<br />

gewinnbringend aus der Perspektive der jeweils<br />

anderen Disziplin betrachten lassen.<br />

Strukturähnlichkeiten zwischen sozialen und<br />

religiösen <strong>Bewegungen</strong> und vergleichbare Herausforderungen<br />

kommen in den Blick, wenn<br />

man sich den sozialen und kulturellen Wandel<br />

der Organisationsformen und des Status von<br />

Religion in modernen Gesellschaften vergegenwärtigt<br />

(vgl. zum Folgenden Beckford 2001:<br />

235-237). Mitgliedschaft in religiösen Organi-

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