Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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<strong>Soziale</strong> und politische Aktivitäten ‚neuer religiöser <strong>Bewegungen</strong>‘ in Japan<br />
gesellschaftliche Klima prägen, obwohl vielfältige<br />
Faktoren verantwortlich sind (siehe Lifton<br />
1999, Reader 2000, Wieczorek 2000a).<br />
Als Wendepunkt zur Radikalisierung der<br />
Aum wird allgemein ihr gescheiterter Versuch<br />
gewertet, aktiv im Politikgeschehen mitzuwirken<br />
(Repp 1997: 47). Im Februar 1990 kandidierten<br />
Asahara und 24 weitere Mitglieder für<br />
das Unterhaus. Die unkonventionelle Wahlkampfkampagne<br />
für ihre Shinritô (‚Partei der<br />
absoluten göttlichen Wahrheit’), in der die Wahlhelfer<br />
Elefanten-Masken oder Masken mit dem<br />
Gesicht Asaharas trugen und religiöse Lieder<br />
anstimmten, endete mit einem verheerenden<br />
Misserfolg. Die Skepsis innerhalb der japanischen<br />
Bevölkerung gegenüber der Gruppe verstärkte<br />
sich, es bildeten sich Bürgerinitiativen<br />
und die Presse stufte sie als gefährlich ein. Aum<br />
interpretierte die Wahlniederlage als feindlichen<br />
Angriff der Außenwelt und Asaharas Äußerungen<br />
wurden in wachsendem Maße radikal, pessimistisch<br />
und fatalistisch (Reader 2000), bis<br />
es schließlich mit dem Giftgasanschlag 1995<br />
zur Eskalation kam. Im Januar 1996 wurde der<br />
Aum der Status einer religiösen Körperschaft<br />
entzogen, sie wurde allerdings nie verboten.<br />
Gegenwärtig zählt sie etwa 2.100 Mitglieder,<br />
steht unter strenger staatlicher Überwachung<br />
(vgl. z.B. Mullins 2001: 81-82) und leistet Kompensationszahlungen<br />
an die Opfer des Attentats.<br />
Gerichtlich wurden bisher 30 ehemalige<br />
Mitglieder zur Rechenschaft gezogen, 12 zum<br />
Tode verurteilt. Asahara erhielt im Februar 2004<br />
die Todesstrafe, wogegen jedoch Berufung eingelegt<br />
wurde. Nach wie vor wird Aum von der<br />
japanischen Regierung und Bevölkerung als<br />
potenziell gewaltbereit betrachtet und eine<br />
Wiedereingliederung ehemaliger Mitglieder in<br />
die japanische Gesellschaft scheint kaum möglich.<br />
Als Reaktion auf den Giftgasanschlag entwickelten<br />
sich in Japan eine Anti-Kult-Bewegung<br />
und Selbsthilfegruppen, die die Verantwortung<br />
der Religionsgemeinschaften einklagen<br />
(Watanabe 2001).<br />
73<br />
Das Aum-Attentat wirkt sich bis heute in<br />
mehrfacher Hinsicht negativ auf die Mobilisierungsmöglichkeiten<br />
religiöser <strong>Bewegungen</strong> in<br />
Japan aus. Innerhalb der Politik und der Bevölkerung<br />
ist ein neues Bewusstsein für potenziell<br />
gefährliche religiöse <strong>Bewegungen</strong> entstanden.<br />
Vor dem Hintergrund eines neuen sozialen Klimas,<br />
in dem der Schutz der japanischen Bevölkerung<br />
vor potenziell gefährlichen religiösen<br />
Gruppen Vorrang genießt gegenüber dem Schutz<br />
der Religionsfreiheit, konnte eine Revision des<br />
Gesetzes über religiöse Körperschaften von<br />
1951 in Rekordzeit das Parlament passieren und<br />
trat bereits am 15. Dezember 1995 in Kraft<br />
(Mullins 2001). Seitdem muss sich jede religiöse<br />
Gemeinschaft beim Kultusministerium registrieren<br />
lassen und seine Bilanzen offen legen;<br />
das Kultusministerium ist befugt, einen<br />
Bericht ihrer Aktivitäten einzufordern und verantwortliche<br />
Personen vorzuladen, falls Verdacht<br />
auf gesetzeswidrige Aktivitäten besteht<br />
(vgl. z.B. LoBreglio 1997).<br />
3.2Der politische Einfluss der Sôka<br />
Gakkai<br />
Mit der Revision des Gesetzes über religiöse<br />
Körperschaften versuchte die LDP auch, den<br />
politischen Einfluss der Neuen Kômeitô zu reglementieren,<br />
hinter der die religiöse Bewegung<br />
Sôka Gakkai steht, mit etwa zwölf Millionen<br />
Mitgliedern 9 eindeutig die größte und wirtschaftlich<br />
einflussreichste religiöse Bewegung in Japan<br />
(vgl. LoBreglio 1997: 40). Die Kômeitô<br />
stellte inzwischen eine ernste politische Bedrohung<br />
für die LDP dar. Deshalb brachte die LDP<br />
die Machtansprüche der Aum und ihres Stifters<br />
Asahara indirekt mit denen der Sôka Gakkai<br />
und ihres derzeitigen Ehrenpräsidenten Daisaku<br />
Ikeda in Verbindung. Die LDP nutzte die<br />
Widerstände gegen die Sôka Gakkai, die in der<br />
Öffentlichkeit fast allergisch abgelehnt wird<br />
(Wieczorek 2000b). Ihre religiöse Intoleranz und<br />
aggressiven Missionsmethoden haben ihr ein