Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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negatives Image eingebracht. Die Missionsmethode<br />
des shakubuku (‚Brechens und Unterwerfens‘),<br />
wodurch solange Druck auf Nichtmitglieder<br />
ausgeübt wurde, bis sie konvertierten,<br />
war nichtsdestotrotz effektiv, um die Grundlage<br />
für das immense Wachstum der Organisation<br />
zu schaffen. Die autoritäre und straff hierarchisch<br />
durchstrukturierte Organisation, die<br />
Mitgliederstärke und das finanzielle Potenzial<br />
der <strong>Bewegungen</strong> sind dafür verantwortlich, dass<br />
sich die Sôka Gakkai – trotz aller Widerstände<br />
in der Bevölkerung, den Medien und Parteien –<br />
auch politisch durchsetzen konnte. In der japanischen<br />
Bevölkerung sitzt die Angst tief, dass<br />
die Sôka Gakkai die Kômeitô einsetzt, um den<br />
Nichiren-Buddhismus zur Staatsreligion zu erheben.<br />
10 Die Liberaldemokraten wiesen immer<br />
wieder auf die in der Verfassung festgelegte<br />
Trennung von Religion und Politik hin und stellten<br />
die Legalität des politischen Einflusses der<br />
Sôka Gakkai in Frage (Hrebenar 2000: 181-<br />
182). Diese Strategie war jedoch nicht erfolgreich,<br />
denn die Sôka Gakkai-Mitglieder gaben<br />
bei Wahlen ihre Stimmen weiterhin für die Kômeitô<br />
ab und sicherten so ihren politischen Einfluss.<br />
Im Oktober 1999 siegte dann der politische<br />
Pragmatismus: Die LDP und die Kômeitô gingen<br />
ein Regierungsbündnis ein. Die LDP konnte<br />
dadurch die zur Verabschiedung wichtiger Gesetze<br />
notwendige Mehrheit im Oberhaus wiedererlangen,<br />
nachdem sie seit Juli 1998 nur im<br />
Unterhaus über eine bequeme Mehrheit verfügt<br />
hatte. Die Kômeitô ließ von ihrer Strategie der<br />
ewigen Regierungsopposition ab, um mehr Einfluss<br />
auf das Profil der nationalen Politik nehmen<br />
zu können (Metraux 1999). Mit dem Regierungsbündnis<br />
der LDP und Kômeitô waren<br />
Spannungen im religiösen sowie im politischen<br />
Umfeld beider Parteien vorprogrammiert. Aufgrund<br />
der starken Skepsis gegenüber diesem<br />
Regierungsbündnis verlor die LDP erheblich<br />
an Zuspruch innerhalb der japanischen Bevölkerung.<br />
Auch verschiedene einflussreiche und<br />
Iris Wieczorek<br />
mitgliederstarke Religionsgemeinschaften gingen<br />
auf Distanz zu den Liberaldemokraten.<br />
4 Trennung von Religion und Politik?<br />
Aufgrund der relativ geschlossenen politischen<br />
Gelegenheitsstrukturen in Japan bildeten sich<br />
seit der Nachkriegszeit religiöse <strong>Bewegungen</strong>,<br />
die größere Teile der Bevölkerung mobilisieren<br />
konnten, sich überwiegend im soziokulturellen<br />
Bereich engagierten, aber auch politisch aktiv<br />
wurden. Die Sôka Gakkai war in dieser Hinsicht<br />
am erfolgreichsten, denn die von ihr gegründete<br />
Partei Neue Kômeitô ist inzwischen<br />
an der Regierung beteiligt. Allerdings sind mit<br />
dem Regierungsbündnis von LDP und Neuer<br />
Kômeitô neue religiöse <strong>Bewegungen</strong> in mehrfacher<br />
Hinsicht zum Risikofaktor geworden, und<br />
beide Parteien müssen neben dem Nutzen, den<br />
sie aus der Koalition ziehen, auch erhebliche<br />
Kosten in Kauf nehmen. Die LDP muss z.B.<br />
bei Wahlen auf die Unterstützung anderer religiöser<br />
<strong>Bewegungen</strong> verzichten und Stimmeinbußen<br />
hinnehmen. Die pazifistisch geprägte<br />
Neue Kômeitô ist ihrerseits aufgrund der Koalition<br />
dazu gezwungen, ihre Politikinhalte anzupassen,<br />
dies zeigte sich erst kürzlich bei der<br />
Frage der Entsendung von Truppen in den Irak.<br />
Dies sorgt zunehmend für Unzufriedenheit unter<br />
den Sôka Gakkai-Mitgliedern, die die hauptsächliche<br />
Wählerbasis der Neuen Kômeitô stellen.<br />
Derzeit ist die Neue Kômeitô allerdings<br />
immer noch in der Lage, bei Wahlen fast 10%<br />
der Sitze im Parlament zu erzielen, sodass sie<br />
als drittstärkste Partei Japans ein attraktiven<br />
Koalitionspartner – sowohl für die LDP als auch<br />
die Opposition – ist.<br />
Vor dem Hintergrund des Aum-Attentats<br />
können jedoch die anderen neuen religiösen<br />
<strong>Bewegungen</strong> nicht von den sich in den 1990er<br />
Jahren öffnenden politischen Gelegenheitsstrukturen<br />
profitieren. Durch die seitdem ausgeprägt<br />
negativen Einstellungen der japanischen Bevölkerung<br />
gegenüber religiösen <strong>Bewegungen</strong>, die