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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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<strong>Soziale</strong> und politische Aktivitäten ‚neuer religiöser <strong>Bewegungen</strong>‘ in Japan<br />

Ausleben bestimmter kollektiver Überzeugungen<br />

bereitstellten und primär auf eine Veränderung<br />

des alltäglichen Lebens, der unmittelbaren<br />

Umwelt und des Selbst zielten (Derichs/Osiander<br />

1998: 9; Vosse 1998: 231-277; Karrenbauer<br />

1995). Eine wichtige Ursache für diese Entwicklung<br />

liegt in der Geschlossenheit des etablierten<br />

politischen Systems in Japan, das u.a. zu<br />

einer ausgeprägten Politikverdrossenheit innerhalb<br />

der japanischen Bevölkerung führte. Konventionellen<br />

Möglichkeiten der Problemlösung,<br />

wie sie Politik und Parteien in Japan bieten,<br />

wurde wenig Vertrauen entgegengebracht. Dies<br />

wurde durch die relativ konfliktscheue politische<br />

Kultur Japans verstärkt, in der die symbolische<br />

Auseinandersetzung der direkten politischen<br />

Konfrontation vorgezogen wird (Pharr<br />

1990). Auf der Suche nach Handlungsalternativen<br />

wurde entsprechend Selbsthilfe und die<br />

Partizipation an kulturorientierten <strong>Bewegungen</strong><br />

– eine Art ‚stiller Widerspruch‘ gegenüber staatlichen<br />

Autoritäten und etablierten Institutionen<br />

– bevorzugt (Wieczorek 2002: 279). In diesem<br />

gesellschaftlichen Kontext gewann aufgrund der<br />

religiösen Tradition Japans die rituelle Konfliktbearbeitung<br />

an Attraktivität, sodass sich das<br />

Phänomen neuer religiöser <strong>Bewegungen</strong> besonders<br />

entfalten konnte.<br />

Repräsentativ für diese <strong>Bewegungen</strong>, die seit<br />

den 1970er Jahren große Zuwachsraten verzeichnen<br />

können, sind die Agonshû (‚Schule<br />

des Agama Buddhismus‘), 4 die Mahikari Kyôdan,<br />

5 die God Light Association (GLA) 6 und<br />

die Shinnyôen, 7 deren Mitgliederzahl sich zusammen<br />

auf fast drei Millionen belaufen soll<br />

(Mullins 1992: 239). Als <strong>Bewegungen</strong> jüngeren<br />

Datums sind neben der Aum z.B. die Kôfuku<br />

no kagaku (‚Wissenschaft des Glücks‘, 1986)<br />

zu nennen, die laut Eigenangaben im Jahr 1999<br />

etwa zehn Millionen Mitglieder hatte. 8<br />

Auffällig ist, dass viele der neuen religiösen<br />

<strong>Bewegungen</strong> im Gegensatz zum Westen verstärkt<br />

das Jenseits und das Leben nach dem Tod<br />

thematisieren. Ihre charismatischen Stifter emp-<br />

71<br />

finden sich häufig als ‚lebende Gottheiten‘. Die<br />

zuvor entstandenen religiösen <strong>Bewegungen</strong> Japans<br />

betonten das Leben im Diesseits sowie<br />

den weltlichen Nutzen ihrer Lehren und rituellen<br />

Praktiken für die Mitglieder. Ihre charismatischen<br />

Stifterpersönlichkeiten waren in der<br />

Regel Übermittler einer Gottheit. Gemeinsamkeiten<br />

dieser Laienbewegungen sind u.a. ihre<br />

vielfältigen spirituellen Erlebnisse, apokalyptischen<br />

Visionen (vgl. Shimazono 2001: 20-22)<br />

und teilweise ausgeprägten nationalistischen<br />

Tendenzen.<br />

Die Jenseitsorientierung der neuen religiösen<br />

<strong>Bewegungen</strong> scheint in der japanischen<br />

Gesellschaft, in der der Einzelne mitunter wenig<br />

Gestaltungsmöglichkeiten hat, ein geschicktes<br />

Mittel zu sein, um Mitglieder zu gewinnen<br />

bzw. in der Bewegung zu halten. Denn dadurch<br />

kann bei Bedarf der Wunsch der Mitglieder nach<br />

Selbstverwirklichung auf einen späteren, nicht<br />

falsifizierbaren Zeitpunkt verschoben werden.<br />

So zeigen eigene empirische Untersuchungen,<br />

dass individualistisch geprägte Personen, die<br />

auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind,<br />

in Japan eine religiöse Bewegung wählten, in<br />

deren Ideologie das Jenseits eine starke Rolle<br />

spielt (Wieczorek 2002: 282). Als ein Beispiel<br />

kann die Kôfuku no kagaku angeführt werden,<br />

deren Jenseitsvorstellungen auf der traditionellen<br />

buddhistischen Lehre der Wiedergeburt und<br />

des Karma basieren und äußerst konkret und<br />

detailliert sind. Dabei betont sie – passend für<br />

die individualisierte und pluralisierte Gesellschaft<br />

– die Notwendigkeit der intensiven Wissensaneignung<br />

und Steigerung der Selbstkompetenz.<br />

Mit einer entsprechenden Vielfalt spiritueller<br />

Erlebnismöglichkeiten und einem umfassenden<br />

weltanschaulichen Angebot, das in<br />

Seminaren, Büchern usw. vermittelt wird, besitzt<br />

sie in Japan ein großes Mobilisierungspotenzial.<br />

Dabei ist sie auf der einen Seite bestrebt,<br />

die Modernisierung voranzutreiben und steht<br />

z.B. technischen Errungenschaften äußerst positiv<br />

gegenüber. Auf der anderen Seite kritisiert

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