Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Deutschland nicht mehr als 10 000 Mitglieder<br />
zählenden Jesus Freaks in die so mächtige wie<br />
reaktionäre Bewegung der amerikanischen<br />
Evangelisten einzuordnen, doch zahlreiche ideologische<br />
Parallelen und konkrete Vernetzungsbemühungen<br />
sind unbestreitbar vorhanden.<br />
Hier sollten progressive Christen und andere<br />
rechtzeitig den Dialog suchen und das Feld<br />
nicht den Heilsbringern von rechtsaußen überlassen.<br />
Authentisches Bild der Szene<br />
Publikationen des Archiv der Jugendkulturen<br />
zeichnen sich ja üblicherweise dadurch aus,<br />
dass sie frühzeitig – bevor die Wissenschaft<br />
und die seriöse Publizistik das Thema entdeckt<br />
– auf neue, gesellschaftlich relevante Entwicklungen<br />
im Umfeld jugendlicher Kultur- und<br />
Freizeitwelten aufmerksam machen. Dass das<br />
kleine private Institut so schnell wie fundiert<br />
auf Trends reagieren kann, liegt an der immer<br />
wieder bewusst gesuchten Nähe zu den Szenen<br />
selbst. Selbst Angehörige üblicherweise<br />
verdeckt agierender Szenen wie Satanisten oder<br />
Neonazis werden –trotz offen bekundeter inhaltlicher<br />
Distanz – mit dem Versprechen geködert,<br />
ausführlich und unzensiert zu Wort zu<br />
kommen. So sind die Veröffentlichungen des<br />
Archiv der Jugendkulturen stets sehr genaue,<br />
authentische Abbilder der subkulturellen Realität<br />
vor allem von Szenen, an die sich ‚normale‘<br />
ForscherInnen oft gar nicht herantrauen<br />
oder schon aufgrund ihres Habitus keine Chancen<br />
haben – und damit eine unerschöpfliche<br />
und unverzichtbare Quelle für die Arbeit eben<br />
dieser anderen WissenschaftlerInnen, aber<br />
auch für politische BildnerInnen, Medien- und<br />
Bewegungsmenschen.<br />
Theoretische Reflexion steht zurück<br />
Die theoretische Reflexion, gar Theoriebildung<br />
ist allerdings keine Stärke der eher ethnographisch<br />
ausgerichteten Studien des Archiv der<br />
Jugendkulturen. Das gilt auch für die beiden<br />
<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 17, 4/2004<br />
neuen Veröffentlichungen: Farin liefert ergänzend<br />
zu den zahlreichen und durchaus widersprüchlichen<br />
und spannenden O-Tönen der<br />
,Freaks‘ eher knappe Kommentierungen, erläutert<br />
allerdings zum ersten Mal in einem Anhang<br />
ausführlich die Arbeitsweise und Forschungspraxis<br />
,seines‘ Hauses. Kurt Möller,<br />
als betreuender Professor der studentischen<br />
Forschungsgruppe ,Jugend und Religion‘ an<br />
der Fachhochschule für Sozialwesen im baden-württembergischen<br />
Esslingen, stellt der<br />
Arbeit zwar ein zwölfseitiges Essay zum religiösen<br />
Revival voran. Doch auch hier stehen<br />
Interviews im Mittelpunkt, die seine StudentInnen<br />
mit christlichen, islamischen und jüdischen<br />
Jugendlichen sowie Neonazis und Fußballfans<br />
über ihre religiösen Vorstellungen<br />
führten. Vielleicht mit Ausnahme der Neonazis<br />
sind es keine extremen Jugendlichen, die<br />
hier zu Wort kommen, sondern eher ganz normale<br />
Gläubige zwischen 12 und 30 Jahren,<br />
wie man ihnen überall zwischen Rostock und<br />
Passau begegnen kann. Aber gerade das – und<br />
die Abfolge kontrastreicher, aber oft auch erstaunlich<br />
übereinstimmender Statements verschiedener<br />
religiöser ,Konfessionen‘ – macht<br />
auch den besonderen Reiz dieses Buches aus,<br />
das zwar nicht die Frage beantworten kann<br />
(und will), ob es generell zu einem Comeback<br />
der Religiosität unter Jugendlichen kommt,<br />
aber einen durchaus tiefgründigen Einblick in<br />
das Seelen- und Geistesleben derjenigen Jugendlichen<br />
bietet, deren Sinnsuche bereits in<br />
diverse religiöse Pfade gemündet ist.<br />
Edith Winner, Berlin<br />
Besprochene Literatur<br />
Projektgruppe Jugend und Religion/Möller,<br />
Kurt 2005: If God is a DJ. Religiöse Vorstellungen<br />
von Jugendlichen. Berlin: Archiv der Jugendkulturen.<br />
Farin, Klaus 2005: Freaks für Jesus. Die<br />
etwas anderen Christen. Berlin: Archiv der Jugendkulturen.