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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Pulsschlag<br />

rierenden Souveränitäten, politischen Kulturen<br />

und Verständnissen von legitimer Politik bestimmt<br />

wird. Die hybride Konstruktion der polity<br />

der EU verstetigt einen Konflikt, der zwischen<br />

dem Interesse an einem föderalen politischen<br />

System nach US-amerikanischen Vorbild<br />

und dem Interesse an einer bloßen, wenn auch<br />

intensiven Kooperation zwischen den europäischen<br />

Nationen besteht. Außerdem verkörpern<br />

die nationalen politischen Kulturen unterschiedliche<br />

Verständnisse von Demokratie. Etablierte<br />

Mehrheitssysteme, proportionale Repräsentation<br />

mit Konsensentscheid, Mischkonzepte, aber<br />

auch junge von den Erfahrungen der Transformationsprozesse<br />

geprägte politische Kulturen<br />

sind nebeneinander getreten. Nur wenige ihrer<br />

citizens können sich eine demokratische politische<br />

Kultur in islamischen Gesellschaften vorstellen.<br />

Gleichzeitig wird der generelle Konsens<br />

in der EU, nur demokratische Prozedere der<br />

Entscheidungsfindung zuzulassen, von einer<br />

wachsenden Rechtfertigung semi-demokratischer<br />

governance als legitime Politikform bedrängt.<br />

Sicherlich entstehen unter diesen Voraussetzungen<br />

europäische Identitäten, die auf die Polity<br />

der EU bezogen sind. Doch eine ‚EU-Identität’<br />

hat sich kaum entwickeln können, gerade<br />

auch weil jene unabdingbaren Voraussetzungen<br />

fehlen, die Habermas für einen europäischen<br />

Verfassungspatriotismus formuliert. Stattdessen<br />

beziehen sich nationale Öffentlichkeiten auf die<br />

EU und bilden gleichsam EU-Identitäten aus<br />

französischer, britischer, polnischer etc. Perspektive,<br />

die noch keine gemeinsame EU-Identität<br />

der nationalen Souveräne ergeben. Auch<br />

transnationale Politiknetzwerke bieten Kontexte<br />

für europäische Identitäten, die freilich nicht<br />

auf eine demokratische Einbeziehung sondern<br />

auf Lobbying und Kooperation ausgerichtet<br />

sind. Abgeordnete des Europäischen Parlaments,<br />

die eine Demokratisierung der EU fordern, finden<br />

in ihren Wählerschaften wenig Resonanz.<br />

Aufrufe zur Volksabstimmung über den Verfas-<br />

93<br />

sungsvertrag wirken angesichts der ausgebliebenen<br />

breiten öffentlichen Verfassungsdebatten<br />

wie eine Mobilisierung für symbolische Politik.<br />

Vor allem sind es nationale Regierungen,<br />

die als gewählte Souveräne um eine angemessene<br />

Einbeziehung in die EU streiten und dabei<br />

auch auf Widerhall in ihrer jeweiligen Bevölkerung<br />

stoßen.<br />

Minimalistische Identitätskonzeption<br />

Vor diesem Hintergrund konzipieren Kritiker<br />

der Diskurstheorie die politische Integration in<br />

die EU unter Verzicht auf die anspruchsvollen<br />

kommunikativen Voraussetzungen, die Habermas<br />

formuliert. Aus soziologischer Sicht rekonstruiert<br />

Eder europäische Identität als ‚postmodern<br />

patchwork‘ (1999: 169). Wie beispielsweise<br />

Zürn (1998) in der Governanceforschung,<br />

so zieht sich auch Eder auf eine „minimalistische<br />

Konzeption von kollektiver Identität“<br />

(1999: 170) zurück. Entscheident sind für ihn<br />

nicht so sehr veränderte Identitätsstrukturen,<br />

sondern die prinzipiell schwache Ausbildung<br />

von kollektiven Identitäten. Sie können kaum<br />

noch politisch integrativ wirksam werden. Gemeinsam<br />

sei den citizens lediglich die Teilnahme<br />

an den verschiedenen Öffentlichkeiten in<br />

der EU. Doch die Erfahrung des Dissenses lehre<br />

die Menschen, in einen reflexiven Dialog<br />

über Werte unterschiedlicher Kulturen einzutreten.<br />

Eine politische Theorie, die auf demokratische<br />

Einbeziehung ausgerichtet ist, kann sich<br />

freilich die Vagheit einer postmodernen Rhetorik<br />

nur bedingt leisten. Demokratietheorie muss<br />

analysieren, wie die Bedingungen der Integration<br />

in eine übergreifende polity, die Repräsentation<br />

von citizens und von souveränen Nationalstaaten<br />

die kollektive Identitätenbildung strukturieren.<br />

Fraglich ist, ob die gängige Annahme<br />

zutrifft, nach der kollektive Identitäten, die den<br />

Anspruch der demokratischen Einbeziehung<br />

zum Gegenstand haben, letztlich nur im Kontext<br />

eines souveränen Volkes entstehen können,

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