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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Editorial<br />

die Religion der Migranten islamischen Glaubens.<br />

Sie fordern zu Recht ihre Anerkennung<br />

und ihren gleichberechtigten Platz in der religionspolitischen<br />

Ordnung, die in vielen Staaten<br />

nach wie vor auf das Christentum zugeschnitten<br />

ist. Als Bedrohung werden sie empfunden,<br />

weil zumindest einige Traditionen des Islam<br />

Positionen zum Verhältnis von Religion und<br />

Politik sowie gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen<br />

vertreten, die mit den Prinzipien liberaler<br />

westlicher Demokratien nicht vereinbar<br />

scheinen. Das Kopftuch ist zum Symbol in beiden<br />

Konfliktdimensionen geworden: Für die<br />

einen steht es für das Recht auf Religionsfreiheit<br />

und den Kampf um Anerkennung, für die<br />

anderen steht es für die Unterdrückung der Frau<br />

im Islam.<br />

Zum anderen handelt es sich um religiöse<br />

Traditionen, die als deviant wahrgenommen<br />

werden. Dazu zählen etwa die sogenannten neuen<br />

religiösen <strong>Bewegungen</strong> wie die ‚Kinder<br />

Gottes‘, die Bhagwan-Rajneesh- bzw. Osho-<br />

Bewegung, die Mun-Bewegung (Vereinigungskirche),<br />

Hare Krishna (ISKCON) oder Scientology.<br />

Als bedrohlich wahrgenommen werden<br />

sie von Teilen der Öffentlichkeit sowie von Seiten<br />

einiger WissenschaftlerInnen vor allem deshalb,<br />

weil sie angeblich Formen der Mitgliederrekrutierung<br />

und Mitgliederbindung praktizieren,<br />

die auf manipulativen Techniken beruhten<br />

und daher die freie Willensentscheidung der<br />

Mitglieder beeinträchtitgen. In beinahe allen<br />

europäischen Ländern sind sie deshalb Gegenstand<br />

staatlicher Beobachtung und Regulierung<br />

geworden.<br />

Aber auch im Zusammenhang mit ‚gesellschaftlichem<br />

Protest‘ wurden und werden religiöse<br />

Akteure, und dies nicht erst seit den Anschlägen<br />

vom 11. September 2001, als problematisch<br />

und bedrohlich, nämlich als fundamentalistische<br />

organisierte Gruppen angesehen, die<br />

sich mit Gewalt und Terror Gehör und politischen<br />

Einfluss verschaffen wollen: die Hamas<br />

in Palästina, die IRA in Nordirland, die afgha-<br />

nischen, iranischen, pakistanischen und indischen<br />

Mujahidin-Gruppen, die japanische Aun-<br />

Sekte oder die international agierende al-Qaida.<br />

Wissenschaftlicher<br />

Reorientierungsbedarf<br />

In den Sozialwissenschaften war Religion über<br />

Jahrzehnte eine eher vernachlässigte Kategorie.<br />

Religion, so der sozialwissenschaftliche ‚common<br />

sense‘, verliere unter den Bedingungen der<br />

Moderne ihre gesellschaftlichen und politischen<br />

Funktionen, werde auf den Bereich des Privaten<br />

zurückgedrängt und letztlich ganz verschwinden.<br />

Doch die Renaissance der Religion<br />

hat hier zu einem Umdenken und zu einem neuen<br />

Interesse an der Erforschung des Verhältnisses<br />

von Religion, Gesellschaft und Politik geführt.<br />

Allerdings steht diese Beschäftigung häufig<br />

unter dem Vorzeichen der Wahrnehmung einer<br />

von der Religion ausgehenden Bedrohung,<br />

die ihren Ausdruck in der Konjunktur von Analysen<br />

zum religiösen Fundamentalismus findet.<br />

Auch in der Bewegungsforschung wurden<br />

religiöse Akteure und Traditionen stiefmütterlich<br />

behandelt, obwohl religiöse Akteure, Organisationen<br />

und Traditionen in vielen <strong>Bewegungen</strong><br />

– wie etwa der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung<br />

oder der Solidaritätsbewegung<br />

– eine erhebliche Rolle gespielt haben. Auch<br />

religiöse <strong>Bewegungen</strong> haben vielfach als Akteure<br />

sozialen oder politischen Wandels operiert.<br />

Daher scheint es lohnenswert, sich religiöse<br />

Akteure, Organisationen, <strong>Bewegungen</strong> und<br />

Traditionen genauer unter der Prämisse ‚Macht<br />

und Gegenmacht‘ entweder als Gegenbewegungen<br />

zu sozialen und kulturellen Transformationen<br />

(z.B. die katholische Kirche in Fragen der<br />

Frauenrolle oder der Abtreibungsdebatte) oder<br />

als transformatorische Kräfte (z.B. wie die<br />

schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA)<br />

anzusehen. Erkenntnisbringend scheint auch die<br />

Frage nach der Funktion von religiösen Institutionen<br />

für die ‚Protest‘bewegung (z.B. als Ressourcengeber).<br />

Das <strong>Forschungsjournal</strong> will die<br />

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