Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Kirche als Bewegung? Das Pontifikat Johannes Pauls II.<br />
derholten Unterdrückungen, Fremdherrschaften,<br />
Teilungen – auch eine heilsgeschichtliche<br />
Dimension. Dass Jesu Christi Opfertod auch<br />
den Weg zur Rettung Polens anzeigt, davon sang<br />
schon Adam Mickiewicz, wenn er in Paris sein<br />
geschundenes und zerteiltes Vaterland als gekreuzigten<br />
„Christus der Völker“ beschrieb,<br />
dessen Auferstehung am dritten Tage allen vom<br />
Despotismus geknechteten Nationen die Freiheit<br />
bringen werde.<br />
In hoc signo: Ein Kreuz, das für den ersten<br />
Besuch des polnischen Papstes auf dem Siegesplatz<br />
in Warschau errichtet wurde, wurde im<br />
20. Jahrhundert zur symbolischen Initiation von<br />
Polens Befreiung vom Kommunismus: „Christus<br />
vincit – Christus regnat – Christus imperat“,<br />
gingen die liturgischen Gesänge, als Johannes<br />
Paul II. im Juni 1979 die Eucharistie im Heimatlande<br />
zelebrierte und Jesus als „Führer in<br />
das Polen von morgen“ anrief.<br />
„Leiden muß nicht immer nur Strafe bedeuten“,<br />
hatte bereits der neunzehnjährige Karol<br />
Wojtyla im ersten Kriegsjahr an seinen ersten<br />
geistigen Mentor, den Literaturprofessor Mieczyslaw<br />
Kotlarczyk geschrieben. Vom sehr früh<br />
heilsgeschichtlich gestimmten Bewusstsein des<br />
Papstes spricht er auch in seinem neuen (im<br />
Mai 2005 erscheinenden) Buch „Erinnerung<br />
und Identität“, den Reflexionen eines Zeugen<br />
und Akteurs, der beide „Ideologien des Bösen“<br />
im letzten Jahrhundert am eigenen Leibe und an<br />
der polnischen Seele erfahren hat. 1<br />
Der Papst charakterisiert Nationalsozialismus<br />
und Kommunismus als „Ausbruch des<br />
Bösen“ in der Geschichte. Beide <strong>Bewegungen</strong><br />
verbargen für einige Jahre erfolgreich ihre wahre<br />
Natur, Gestalten des Bösen zu sein. Die Westmächte<br />
wollten lange Zeit den Berichten über<br />
die nationalsozialistische Judenvernichtung keinen<br />
Glauben schenken; auch Polen verkannte<br />
die Dimension der Nazi-Gräuel oder die sowjetischen<br />
Massaker an polnischen Offizieren in<br />
Katyn.<br />
11<br />
Die nationalsozialistische Herrschaft des<br />
Bösen in Europa währte zwölf Jahre. Dieser<br />
Wahn, ja dies „bestialische“ Böse musste in einem<br />
gerechten Krieg militärisch zerschlagen<br />
werden. 2 Doch der Kommunismus, das wurde<br />
dem jungen Priester Wojtyla bald klar, sollte im<br />
Jalta-Europa sehr viel länger andauern als der<br />
Nationalsozialismus. „Wie lange? Das war<br />
schwer vorherzusehen. Und das führt mich zur<br />
Überlegung, daß dieses Übel in gewisser Weise<br />
ein für die Welt und für den Menschen notwendiges<br />
Übel sei.“<br />
Warum aber erlaubte die göttliche Vorsehung<br />
dem Kommunismus eine so viel längere Lebenszeit<br />
als dem Nazi-Regime? – fragte sich<br />
schon der junge Wojtyla, als die Stabilität der<br />
kommunistischen Herrschaft im Ostblock noch<br />
unerschüttert schien. Und als Papst wiederholte<br />
er nach dem Zusammenbruch des Ostblocks<br />
dieselbe Frage im Dialog mit seinem Freund<br />
Józef Tischner, dem (mittlerweile verstorbenen)<br />
Seelsorger der „Solidarnosc“-Bewegung. Am<br />
Ende des Kommunismus hatte der polnische<br />
Bischof von Rom einen entscheidenden Anteil<br />
gehabt.<br />
An die Stabilität der europäischen Nachkriegsordnung<br />
konnte der Krakauer Erzbischof<br />
– ganz im Gegensatz zu sozialdemokratischen<br />
Entspannungspolitikern oder gar protestantischen<br />
Weltkirchenräten – niemals glauben. Wojtyla<br />
wusste aus eigener pastoraler Erfahrung,<br />
wie sehr der Kommunismus innerlich am Ende<br />
war. Als Papst (nicht zuletzt mit seinen Polenreisen:<br />
1979, 1983, 1987, 1991...) hat Wojtyla<br />
darum die freie Gewerkschaft und polnische<br />
Nationalbewegung Solidarnosc moralisch gestärkt<br />
und zugleich die Politik des „runden Tisches“<br />
von Regime, Kirche und Opposition<br />
gefördert. Im geistigen Kalten Krieg zwischen<br />
katholischer Christenheit und einem byzantinisch<br />
versteinerten Kommunismus siegte am<br />
Ende Rom über Moskau, das Dritte Rom – im<br />
Zeichen der Menschenrechte und der „Civil<br />
Society“.