Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Der Sektenkomplex<br />
durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes<br />
und der Länder (außer Schleswig-Holstein)<br />
beobachten zu lassen. Vorausgegangen waren<br />
massive Vorwürfe, dass diese Gruppierung unter<br />
dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft<br />
verfassungsfeindliche Ziele verfolge, Methoden<br />
der Wirtschaftskriminalität anwende und Psychoterror<br />
gegen ihre Mitglieder ausübe.<br />
Bis heute ließen sich die Vorwürfe weder<br />
durch Observationen noch durch Gerichtsverfahren<br />
erhärten; die Verfassungsschützer kamen<br />
statt dessen zu dem Ergebnis, dass es sich bei<br />
der Organisation um eine zwar lautstark und<br />
mitunter aggressiv gegen ihre Gegner opponierende<br />
Gruppe handelt. Insgesamt sei sie jedoch<br />
wenig erfolgreich, was sich an den stagnierenden<br />
Mitgliederzahlen ablesen lasse. Diese liegen<br />
seit Jahren bundesweit bei maximal etwa<br />
5.000 Personen und keinesfalls bei 30.000 oder<br />
sogar 300.000, wie häufig zu hören war. 7 In<br />
vielen Regionen Deutschlands ist die Scientology-Kirche<br />
überhaupt nicht vertreten. So müssen<br />
alle Bemühungen, nach der Wende in Ostdeutschland<br />
Fuß zu fassen, als gescheitert gelten<br />
(Usarski 2000: 11). Auch die Wirtschaftskraft<br />
der Gruppe entspreche bestenfalls der eines<br />
mittelständischen Wirtschaftsunternehmens,<br />
Anzeichen für eine Unterwanderung staatlicher<br />
Institutionen durch Mitglieder der Scientology<br />
wurden nicht gefunden. Diese Erkenntnisse<br />
führten dazu, dass die Verfassungsschutzbehörden<br />
nach und nach ihre Beobachtungen einstellten<br />
oder diese nur noch mit geringem Aufwand<br />
weiterbetreiben. 8<br />
4 Eine umstrittene Studie aus<br />
Bayern<br />
Den vorläufigen Höhepunkt der Auseinandersetzung<br />
mit Scientology bildet die 1999 unter<br />
der Leitung der Münchener Professoren Norbert<br />
Nedopil (Psychiater), Heinz Schöch (Strafrechtler)<br />
und Heinrich Küfner (Institut für Therapieforschung)<br />
begonnene Untersuchung über<br />
81<br />
unkonventionelle Psycho- und Sozialtechniken<br />
bei Scientology (Küfner et al. 2002), die im<br />
Auftrag des Bayerischen Sozialministeriums<br />
erstellt wurde (Neumann 2003: 196). 2001<br />
konnte die Untersuchung abgeschlossen werden.<br />
Die Ergebnisse der Studie lassen aufhorchen.<br />
Dies nicht nur, weil die Befunde der Gutachter<br />
den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden diametral<br />
zu widersprechen scheinen, sondern vor<br />
allem auch deshalb, weil ‚eine Strafbarkeit wegen<br />
der Bildung einer kriminellen Vereinigung’<br />
und ‚Anhaltspunkte für die Erwägung eines<br />
Vereinsverbotes‘ gesehen werden. 9 Damit zeichnet<br />
sich zum ersten Mal in der Geschichte der<br />
Bundesrepublik Deutschland am Horizont das<br />
mögliche Verbot einer Religionsgemeinschaft<br />
ab.<br />
Die Gutachter gelangten zu dem Ergebnis,<br />
dass „sowohl mehrere Bereiche der Tätigkeit<br />
wie auch die innere Struktur der Scientology-<br />
Organisation im Widerspruch zu zentralen Prinzipien<br />
unserer Rechtsordnung“ (Küfner et al.<br />
2002: 26) stünden. Angeprangert werden nicht<br />
nur die Behandlung von Mitarbeitern, die mithilfe<br />
eines internen Normensystems „umfassend<br />
überwacht und zu ständiger Leistungssteigerung<br />
gezwungen“ würden (Küfner et al. 2002:<br />
26). Selbst kleinere Fehlleistungen zögen die<br />
interne Bewertung als „Straftat“ und entsprechende<br />
Sanktionierungen nach sich.<br />
Die von Scientology praktizierten Dienstleistungen<br />
brächten die „Möglichkeit strafbarer<br />
Handlungen“ mit sich (Küfner et al. 2002: 26).<br />
„Viele der angebotenen Kurse sind als strafbare<br />
unerlaubte Ausübung von Heilkunde anzusehen,<br />
soweit sie von Personen durchgeführt werden,<br />
die keine Zulassung als Heilpraktiker besitzen“<br />
(Küfner et al. 2002: 26). Ferner diagnostizieren<br />
die Autoren in Lehre und Praxis der<br />
Scientology Verstöße gegen das Grundrecht auf<br />
Wahrung der Menschenwürde, das allgemeine<br />
Persönlichkeitsrecht und den Schutz von Ehe<br />
und Familie (Küfner et al. 2002: 26). „Men-