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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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14<br />

sehen in den Dienst seiner Evangelisierungsoffensive<br />

zu stellen. Wojtyla agiert in der Tat in<br />

hohem Maße als „Medienpapst“, da sich in seiner<br />

öffentlichen Gestalt zwei verschiedene Logiken<br />

der Verkörperung geradezu perfekt überblenden:<br />

die des Fernsehens und die der sakramentalen<br />

Präsenz.<br />

Der messianische Papst, der aus dem Osten<br />

kam, hat im letzten Vierteljahrhundert seinen Leib<br />

um die Welt geschickt: Seine dynamische Erscheinung<br />

kommuniziert, erstmals leibhaftig,<br />

mit der Weltkirche. Johannes Paul II. erniedrigt<br />

sich in triumphaler Demut vor allen Nationen<br />

und verkündet die Frohe Botschaft vom Siege<br />

der Christenheit über den Kommunismus – doch<br />

nach diesem Sieg muss derselbe Papst auch die<br />

Niederlage des christlichen Ethos gegenüber den<br />

Glücksmodellen der kapitalistischen Zivilisation<br />

erfahren. Kein Papst (aber auch kein Politiker)<br />

hat die Klaviatur der elektronischen Medien<br />

besser beherrscht als der „große Kommunikator“<br />

Wojtyla – und doch war seit Pius XII.<br />

kein Papst der kulturellen Moderne gegenüber<br />

so misstrauisch eingestellt wie Johannes Paul<br />

II. Gerade der „Fernsehpapst“ par excellence<br />

geißelte immer wieder die leichten Versprechen<br />

des Fernsehkonsums, die seriellen Bilder<br />

schnellen Erfolgs und virtuellen Glücks.<br />

Nach dem Ende des bürokratischen Kollektivismus<br />

in Osteuropa wurde der gewissenlose<br />

Individualismus der Konsumgesellschaft der<br />

Ersten Welt zum ideologischen Hauptfeind des<br />

Papstes. 3 Die westliche Illusion der Freiheit als<br />

Konsumentensouveränität vergifte die innere<br />

Freiheit in weitaus gefährlicherem Maße als jede<br />

kommunistische „Diktatur über die Bedürfnisse“<br />

(Agnes Heller). Eine Freiheitsidee, welche<br />

die Bedürfnisse des Einzelnen zur letzten Instanz<br />

aller moralischen Werte erklärt und welche<br />

Schmerz und Leid zum Bösen an sich macht,<br />

kennt keine Bindung an eine unseren Bedürfnishorizont<br />

transzendierende Wahrheit mehr,<br />

warnt der Papst in seiner Enzyklika Evangelium<br />

Vitae (1995): als bloßes „System der Be-<br />

dürfnisse“ (G.W.Hegel) riskiert auch die liberale<br />

Gesellschaft, totalitär zu werden.<br />

Gegen den Siegeszug eines neuen „westlich“-heidnischen<br />

Evangeliums von physischem<br />

Genuss und materiellem Erfolg mobilisiert Johannes<br />

Paul II. am Ende noch die Würde seines<br />

eigenen Leidens. Die leibhaftige Gefährdung<br />

dieses Papstes – vom Attentat auf dem Petersplatz<br />

am 13. Mai 1981, dem Tage der Madonna<br />

von Fatima, bis zu seiner seit einigen Jahren als<br />

öffentliche Herausforderung gelebten Krankheit<br />

– transportiert symbolische Wahrheit. Der<br />

dynamische, prophetische, unermüdliche Johannes<br />

Paul II. verkörperte den Triumph der christlichen<br />

Hoffnung gegenüber dem sterbenden<br />

Kommunismus – am Ende seines Pontifikats<br />

predigt der kranke, leidende Pilger die bis zum<br />

Ende der Zeiten nicht eingelöste Friedenshoffnung<br />

des Evangeliums in der neuen Weltunordnung.<br />

PD Dr. Otto Kallscheuer ist Philosoph und<br />

Politikwissenschaftler und arbeitet als freier<br />

Autor. Seine Mail-Anschrift lautet:<br />

otto.kallscheuer@tiscali.it.<br />

Anmerkungen<br />

Otto Kallscheuer<br />

1 Der Pressesprecher des Heiligen Stuhls<br />

Joachim Navarro Valls stellte Auszüge aus dem<br />

Manuskript des Buches, das auf Gespräche des<br />

Heiligen Vaters mit Pater J. Tischner und K.<br />

Michalski zurückgeht, am 6. Oktober 2004 auf<br />

der Frankfurter Buchmesse vor.<br />

2 Im Mai 2004 erinnerte Johannes Paul II mit<br />

patriotischem Stolz an die vor 60 Jahren, am<br />

18. Mai 1944, in der Schlacht von Montecassino<br />

gefallenen polnischen Soldaten, deren Grabsteine<br />

griechische und lateinische Kreuze und<br />

Davidsterne zieren: Es waren Helden, gefallen<br />

im Kampf „für unsere und eure Freiheit“.<br />

3 Mit etwas anderer Terminologie setzt Johannes<br />

Paul II. in seinen drei <strong>Soziale</strong>nzykliken<br />

Laborem exercens (1981), Sollicitudo rei socialis<br />

(1987) und Centesimus Annus (1991)

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