Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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sehen in den Dienst seiner Evangelisierungsoffensive<br />
zu stellen. Wojtyla agiert in der Tat in<br />
hohem Maße als „Medienpapst“, da sich in seiner<br />
öffentlichen Gestalt zwei verschiedene Logiken<br />
der Verkörperung geradezu perfekt überblenden:<br />
die des Fernsehens und die der sakramentalen<br />
Präsenz.<br />
Der messianische Papst, der aus dem Osten<br />
kam, hat im letzten Vierteljahrhundert seinen Leib<br />
um die Welt geschickt: Seine dynamische Erscheinung<br />
kommuniziert, erstmals leibhaftig,<br />
mit der Weltkirche. Johannes Paul II. erniedrigt<br />
sich in triumphaler Demut vor allen Nationen<br />
und verkündet die Frohe Botschaft vom Siege<br />
der Christenheit über den Kommunismus – doch<br />
nach diesem Sieg muss derselbe Papst auch die<br />
Niederlage des christlichen Ethos gegenüber den<br />
Glücksmodellen der kapitalistischen Zivilisation<br />
erfahren. Kein Papst (aber auch kein Politiker)<br />
hat die Klaviatur der elektronischen Medien<br />
besser beherrscht als der „große Kommunikator“<br />
Wojtyla – und doch war seit Pius XII.<br />
kein Papst der kulturellen Moderne gegenüber<br />
so misstrauisch eingestellt wie Johannes Paul<br />
II. Gerade der „Fernsehpapst“ par excellence<br />
geißelte immer wieder die leichten Versprechen<br />
des Fernsehkonsums, die seriellen Bilder<br />
schnellen Erfolgs und virtuellen Glücks.<br />
Nach dem Ende des bürokratischen Kollektivismus<br />
in Osteuropa wurde der gewissenlose<br />
Individualismus der Konsumgesellschaft der<br />
Ersten Welt zum ideologischen Hauptfeind des<br />
Papstes. 3 Die westliche Illusion der Freiheit als<br />
Konsumentensouveränität vergifte die innere<br />
Freiheit in weitaus gefährlicherem Maße als jede<br />
kommunistische „Diktatur über die Bedürfnisse“<br />
(Agnes Heller). Eine Freiheitsidee, welche<br />
die Bedürfnisse des Einzelnen zur letzten Instanz<br />
aller moralischen Werte erklärt und welche<br />
Schmerz und Leid zum Bösen an sich macht,<br />
kennt keine Bindung an eine unseren Bedürfnishorizont<br />
transzendierende Wahrheit mehr,<br />
warnt der Papst in seiner Enzyklika Evangelium<br />
Vitae (1995): als bloßes „System der Be-<br />
dürfnisse“ (G.W.Hegel) riskiert auch die liberale<br />
Gesellschaft, totalitär zu werden.<br />
Gegen den Siegeszug eines neuen „westlich“-heidnischen<br />
Evangeliums von physischem<br />
Genuss und materiellem Erfolg mobilisiert Johannes<br />
Paul II. am Ende noch die Würde seines<br />
eigenen Leidens. Die leibhaftige Gefährdung<br />
dieses Papstes – vom Attentat auf dem Petersplatz<br />
am 13. Mai 1981, dem Tage der Madonna<br />
von Fatima, bis zu seiner seit einigen Jahren als<br />
öffentliche Herausforderung gelebten Krankheit<br />
– transportiert symbolische Wahrheit. Der<br />
dynamische, prophetische, unermüdliche Johannes<br />
Paul II. verkörperte den Triumph der christlichen<br />
Hoffnung gegenüber dem sterbenden<br />
Kommunismus – am Ende seines Pontifikats<br />
predigt der kranke, leidende Pilger die bis zum<br />
Ende der Zeiten nicht eingelöste Friedenshoffnung<br />
des Evangeliums in der neuen Weltunordnung.<br />
PD Dr. Otto Kallscheuer ist Philosoph und<br />
Politikwissenschaftler und arbeitet als freier<br />
Autor. Seine Mail-Anschrift lautet:<br />
otto.kallscheuer@tiscali.it.<br />
Anmerkungen<br />
Otto Kallscheuer<br />
1 Der Pressesprecher des Heiligen Stuhls<br />
Joachim Navarro Valls stellte Auszüge aus dem<br />
Manuskript des Buches, das auf Gespräche des<br />
Heiligen Vaters mit Pater J. Tischner und K.<br />
Michalski zurückgeht, am 6. Oktober 2004 auf<br />
der Frankfurter Buchmesse vor.<br />
2 Im Mai 2004 erinnerte Johannes Paul II mit<br />
patriotischem Stolz an die vor 60 Jahren, am<br />
18. Mai 1944, in der Schlacht von Montecassino<br />
gefallenen polnischen Soldaten, deren Grabsteine<br />
griechische und lateinische Kreuze und<br />
Davidsterne zieren: Es waren Helden, gefallen<br />
im Kampf „für unsere und eure Freiheit“.<br />
3 Mit etwas anderer Terminologie setzt Johannes<br />
Paul II. in seinen drei <strong>Soziale</strong>nzykliken<br />
Laborem exercens (1981), Sollicitudo rei socialis<br />
(1987) und Centesimus Annus (1991)