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2 <strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 17, 4/2004<br />

Does Religion Matter?<br />

Zum Verhältnis von Religion und<br />

sozialer Bewegung<br />

Die Renaissance der Religion<br />

in der Politik<br />

Am Morgen des 3. November 2004 rieben sich<br />

viele Europäer verwundert die Augen. Amerika hatte<br />

gewählt – und es hatte den Präsidenten gewählt, der<br />

deutlicher als viele seiner Vorgänger im Amt aus<br />

seiner starken religiösen Bindung und seinen religiösen<br />

Überzeugungen keinen Hehl gemacht hatte.<br />

Seinen Sieg hatte er zu einem wesentlichen Teil<br />

dem Mobilisierungserfolg einer religiösen Bewegung,<br />

der christlichen Rechten, zu verdanken. Sein<br />

Erfolg war auch einem Programm geschuldet, in<br />

dem moralische und Wertfragen sowie deren religiös<br />

motivierte Lösungen einen prominenten Platz<br />

einnahmen. „It’s the economy, stupid!“, die erfolgreiche<br />

Devise der Wahlkampfstrategen Bill Clintons,<br />

hatte zumindest in dieser Wahl ihre Geltung<br />

verloren: „It’s religion and its values, stupid!“.<br />

Schon in den Wochen und Monaten vor der<br />

Wahl hatte man wieder erstaunt zur Kenntnis nehmen<br />

müssen, welch bedeutsame Rolle Religion<br />

im Leben einer sehr großen Anzahl von AmerikanerInnen<br />

einnimmt. Dabei beschränkt sich die Rolle<br />

der Religion aber keineswegs auf das private Leben,<br />

sondern ist – trotz oder wegen des ersten<br />

Verfassungszusatzes, der die Trennung von Staat<br />

und Kirche gebietet – Bestandteil der politischen<br />

Kultur und ein Faktor des öffentlichen und politischen<br />

Lebens. Nach dem nationalen Mythos ist<br />

Amerika ‚God’s own country‘, das Gelöbnis der<br />

Loyalität zur Fahne und zur Republik beschwört<br />

Amerika als „one Nation under God“.<br />

Gut, mögen sich viele Europäer nach dem<br />

ersten Schreck beruhigt haben, Amerika ist<br />

schon immer eine Ausnahme gewesen, Amerika<br />

ist nicht Europa. Denn moderne westliche<br />

Gesellschaften, das zeigt der Blick nach Europa,<br />

sind säkularisierte Gesellschaften. Die<br />

christlichen Kirchen leiden unter einem endemischen<br />

Mitgliederverlust, und die Zahl der<br />

aktiven Mitglieder ist längst zur Minderheit geworden.<br />

In der Politik spielt Religion keine entscheidende<br />

Rolle mehr. Selbst in den Programmen<br />

und der Regierungspraxis der europäischen<br />

Parteien, die nach wie vor das große ‚C‘ im<br />

Namen führen oder sich explizit als christliche<br />

Parteien verstehen, wird die religiöse Dimension<br />

zunehmend an den Rand gedrängt. Die christlichen<br />

Kirchen sind z.B. in der Bundesrepublik<br />

zwar eine deutlich vernehmbare Stimme der<br />

politischen Öffentlichkeit. Ihr politisches Engagement<br />

wird jedoch – anders als noch in den<br />

1950er und 1960er Jahren, als der Politikwissenschaftler<br />

Thomas Ellwein den ‚Klerikalismus<br />

in der deutschen Politik‘ anprangerte, ‚Hirtenworte‘<br />

zur Wahl an der Tagesordnung waren<br />

und heftige kulturpolitische Kämpfe um die<br />

konfessionelle Prägung der Schule ausgefochten<br />

wurden – nicht mehr als Bedrohung der<br />

Freiheit wahrgenommen. Gesellschaftliche Bedeutung<br />

haben sie allenfalls noch durch die<br />

Übernahme sozialer Aufgaben. Dementsprechend<br />

sind auch immer seltener Forderungen<br />

nach einer radikalen Trennung von Staat und<br />

Kirche zu vernehmen.<br />

Blickt man jedoch über den Tellerrand Europas,<br />

dann zeigt sich schnell, dass Europa alles<br />

anders als die Regel, sondern vielmehr selbst<br />

eher die Ausnahme darstellt. Der Islam breitet<br />

sich höchst erfolgreich im arabischen Raum, in<br />

Afrika und in Zentral- und Südasien aus. Christliche<br />

Kirchen und <strong>Bewegungen</strong> verzeichnen in<br />

Afrika, Lateinamerika und in Asien erhebliche<br />

Wachstumsraten. Religion scheint auch nicht<br />

mehr nur etwas für arme Leute zu sein, wie dies<br />

jüngst noch einmal Ronald Inglehart behauptete.<br />

Dies wird deutlich, wenn man auf die religiöse<br />

Vitalität moderner und sich rapide modernisierender<br />

Gesellschaften im asiatischen Raum<br />

blickt, um von Amerika zu schweigen.<br />

Aber auch in Europa meldet sich die Religion<br />

zurück. Allerdings in Form von Konflikten,<br />

und daher wird diese Rückkehr auch als Bedrohung<br />

empfunden. Es handelt sich zum einen um

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