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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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88<br />

Das zentrale Bezugsproblem innerhalb der<br />

biographischen Selbstpräsentationen ist die<br />

Motivation über so lange Zeiträume und dort<br />

speziell der Umgang mit Enttäuschungen. Das<br />

politische Engagement ist, abstrakt gesprochen,<br />

hineingespannt in die beiden Pole von Erwartung<br />

und Erfüllung. Dieser Zwischenraum, diese<br />

Spannung ist die eigentliche Triebkraft des<br />

Engagements. Die Erfüllung kann erhofft werden,<br />

dann bezieht sie sich positiv auf die Realisierung<br />

gesellschaftlicher und politischer Alternativen,<br />

oder aber die Erfüllung wird gefürchtet.<br />

Schreckbilder wie die atomare Selbstvernichtung<br />

drängen dann zur Untergangsverhinderung.<br />

Diese beiden Motivationstypen, die<br />

Erfüllungssehnsucht (utopisch) und die Untergangsverhinderung<br />

(dystopisch) sind idealtypische<br />

Grundorientierungen in den Interviews.<br />

Die Enttäuschung ist nun die Erfahrung, dass<br />

sich Wunschbilder gesellschaftlichen Zusammenlebens<br />

nur mühsam realisieren lassen, dass<br />

Kriege selten verhindert werden. Entgegen dieser<br />

Erfahrungen wird in den Interviews der Erfolg<br />

langfristig unterstellt. „Das andere ist och,<br />

dass ich von einem Menschenbild ausgehe, äh<br />

was mir das ermöglicht, einfach och dran zu<br />

glauben, und das ist, da merke ich och, dass ich<br />

da sicher och im Widerspruch mit manchen Leuten<br />

stehe, äh und das, aber, nicht ohne Grund<br />

der christliche Glaube, das humanistische Verständnis<br />

von Mensch, mich prägt och dran zu<br />

glauben, dass sich was verändert, und dass ich<br />

och was erreichen kann“ (Frau D: 800ff.) Dieses<br />

Zitat verweist auf die wichtige Eigenschaft<br />

der Kreativität religiöser Ideen. Kreativität meint<br />

das menschliche Vermögen sich Nicht-Gegenwärtiges,<br />

Abwesendes, auch Noch-Nie-Dagewesenes<br />

zu vergegenwärtigen (Popitz 2000:<br />

95f). Dieses Tun-als-ob, der Glaube an das<br />

christliche Bild, dass der Mensch gut sei, führt<br />

zur Unterstellung der Veränderbarkeit gesellschaftlicher<br />

Wirklichkeit. Neben dieses Kernelement<br />

christlicher Hoffnung tritt die jenseitige<br />

Hinauszögerung der Erfüllung. Dazu sei Herr<br />

<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 17, 4/2004<br />

H. zitiert: „Ich geh net kaputt, oder mein Leben<br />

geht net kaputt, mein Leben verliert net an Wert,<br />

an Sinn, wenn die Utopien oder meine Zielvorstellungen<br />

oder meine Träume und Wünsche<br />

net erreicht werd’n. (hm) Im Gegenteil würde<br />

ich eher sagen, es macht’s lebenswerter, wenn<br />

ich die Träume weiter hab, weil ich hoffe das se<br />

mich lebendig halten. Die, also, irgendwo kommen<br />

die mal im Unendlichen ans Ziel.“ (Herr H:<br />

1463ff.) Diese sehr viel radikalere Erfolgsunterstellung,<br />

die Hinauszögerung der Erfüllung,<br />

hat die doppelte Funktion der Handlungsmotivation,<br />

als auf Dauer gestellte Erfüllungssehnsucht,<br />

und dient aber zugleich der Handlungsentlastung.<br />

Der Engagierte entbindet sich vom<br />

Erfolgsdruck des Handelns. „Wir haben es nicht<br />

in der Hand, was aus unseren Aktivitäten wird,<br />

aber sie müssen gemacht werden“ (Frau B:<br />

275f); oder „wenn man das Gefühl hat, es ist<br />

eigentlich unendlich viel tun, dass man da meint,<br />

man muss die Erde auf die eigene Schulter<br />

nehmen wie Atlas, (hm) sondern sacht, gut, dass<br />

was ich tragen kann trag’ ich, (...) dass andere,<br />

mein Lieber mein Lieber äh da oben, dass ist<br />

jetzt sein Job, dass musst du jetzt tragen.“ (Herr<br />

E: 925ff.) Jene entlastende Verwirklichungsverzögerung<br />

möchte ich halbiertes Engagement<br />

nennen. Die Befragten beschreiben sich zwar<br />

als Subjekt des Engagements, aber nicht als Subjekt<br />

der Verwirklichung – sie wird dem Gott der<br />

christlichen Religion zugerechnet. Die Selbstinstrumentalisierung<br />

für die „Sache des Christentums“<br />

folgt dem Modell der begrenzten Mitarbeit<br />

7 – nichts anderes als diese Arbeitsteilung<br />

meint halbiertes Engagement. Das Besondere<br />

daran ist, dass das Engagement eigentlich irdisch<br />

nie zum Ende kommt – die Spannung<br />

zwischen Erwartung und Erfüllung ist auf Dauer<br />

gestellt. Die christliche Religion kann daher<br />

eigentlich eine nie versiegende Quelle enttäuschungsresistenter<br />

Hoffnung sein. Als Motivation<br />

nennt Herr H. „die Sehnsucht nach Wirklichkeiten,<br />

die ich net unbedingt erreichen muss,<br />

aber auf wo ich mich gern auf’n Weg mach die

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