Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Das zentrale Bezugsproblem innerhalb der<br />
biographischen Selbstpräsentationen ist die<br />
Motivation über so lange Zeiträume und dort<br />
speziell der Umgang mit Enttäuschungen. Das<br />
politische Engagement ist, abstrakt gesprochen,<br />
hineingespannt in die beiden Pole von Erwartung<br />
und Erfüllung. Dieser Zwischenraum, diese<br />
Spannung ist die eigentliche Triebkraft des<br />
Engagements. Die Erfüllung kann erhofft werden,<br />
dann bezieht sie sich positiv auf die Realisierung<br />
gesellschaftlicher und politischer Alternativen,<br />
oder aber die Erfüllung wird gefürchtet.<br />
Schreckbilder wie die atomare Selbstvernichtung<br />
drängen dann zur Untergangsverhinderung.<br />
Diese beiden Motivationstypen, die<br />
Erfüllungssehnsucht (utopisch) und die Untergangsverhinderung<br />
(dystopisch) sind idealtypische<br />
Grundorientierungen in den Interviews.<br />
Die Enttäuschung ist nun die Erfahrung, dass<br />
sich Wunschbilder gesellschaftlichen Zusammenlebens<br />
nur mühsam realisieren lassen, dass<br />
Kriege selten verhindert werden. Entgegen dieser<br />
Erfahrungen wird in den Interviews der Erfolg<br />
langfristig unterstellt. „Das andere ist och,<br />
dass ich von einem Menschenbild ausgehe, äh<br />
was mir das ermöglicht, einfach och dran zu<br />
glauben, und das ist, da merke ich och, dass ich<br />
da sicher och im Widerspruch mit manchen Leuten<br />
stehe, äh und das, aber, nicht ohne Grund<br />
der christliche Glaube, das humanistische Verständnis<br />
von Mensch, mich prägt och dran zu<br />
glauben, dass sich was verändert, und dass ich<br />
och was erreichen kann“ (Frau D: 800ff.) Dieses<br />
Zitat verweist auf die wichtige Eigenschaft<br />
der Kreativität religiöser Ideen. Kreativität meint<br />
das menschliche Vermögen sich Nicht-Gegenwärtiges,<br />
Abwesendes, auch Noch-Nie-Dagewesenes<br />
zu vergegenwärtigen (Popitz 2000:<br />
95f). Dieses Tun-als-ob, der Glaube an das<br />
christliche Bild, dass der Mensch gut sei, führt<br />
zur Unterstellung der Veränderbarkeit gesellschaftlicher<br />
Wirklichkeit. Neben dieses Kernelement<br />
christlicher Hoffnung tritt die jenseitige<br />
Hinauszögerung der Erfüllung. Dazu sei Herr<br />
<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 17, 4/2004<br />
H. zitiert: „Ich geh net kaputt, oder mein Leben<br />
geht net kaputt, mein Leben verliert net an Wert,<br />
an Sinn, wenn die Utopien oder meine Zielvorstellungen<br />
oder meine Träume und Wünsche<br />
net erreicht werd’n. (hm) Im Gegenteil würde<br />
ich eher sagen, es macht’s lebenswerter, wenn<br />
ich die Träume weiter hab, weil ich hoffe das se<br />
mich lebendig halten. Die, also, irgendwo kommen<br />
die mal im Unendlichen ans Ziel.“ (Herr H:<br />
1463ff.) Diese sehr viel radikalere Erfolgsunterstellung,<br />
die Hinauszögerung der Erfüllung,<br />
hat die doppelte Funktion der Handlungsmotivation,<br />
als auf Dauer gestellte Erfüllungssehnsucht,<br />
und dient aber zugleich der Handlungsentlastung.<br />
Der Engagierte entbindet sich vom<br />
Erfolgsdruck des Handelns. „Wir haben es nicht<br />
in der Hand, was aus unseren Aktivitäten wird,<br />
aber sie müssen gemacht werden“ (Frau B:<br />
275f); oder „wenn man das Gefühl hat, es ist<br />
eigentlich unendlich viel tun, dass man da meint,<br />
man muss die Erde auf die eigene Schulter<br />
nehmen wie Atlas, (hm) sondern sacht, gut, dass<br />
was ich tragen kann trag’ ich, (...) dass andere,<br />
mein Lieber mein Lieber äh da oben, dass ist<br />
jetzt sein Job, dass musst du jetzt tragen.“ (Herr<br />
E: 925ff.) Jene entlastende Verwirklichungsverzögerung<br />
möchte ich halbiertes Engagement<br />
nennen. Die Befragten beschreiben sich zwar<br />
als Subjekt des Engagements, aber nicht als Subjekt<br />
der Verwirklichung – sie wird dem Gott der<br />
christlichen Religion zugerechnet. Die Selbstinstrumentalisierung<br />
für die „Sache des Christentums“<br />
folgt dem Modell der begrenzten Mitarbeit<br />
7 – nichts anderes als diese Arbeitsteilung<br />
meint halbiertes Engagement. Das Besondere<br />
daran ist, dass das Engagement eigentlich irdisch<br />
nie zum Ende kommt – die Spannung<br />
zwischen Erwartung und Erfüllung ist auf Dauer<br />
gestellt. Die christliche Religion kann daher<br />
eigentlich eine nie versiegende Quelle enttäuschungsresistenter<br />
Hoffnung sein. Als Motivation<br />
nennt Herr H. „die Sehnsucht nach Wirklichkeiten,<br />
die ich net unbedingt erreichen muss,<br />
aber auf wo ich mich gern auf’n Weg mach die