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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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36<br />

4.3 <strong>Soziale</strong> und politische Dimensionen<br />

neuer religiöser <strong>Bewegungen</strong><br />

Dass religiöse <strong>Bewegungen</strong> auch soziale und<br />

politische Ziele verfolgen, hat spätestens seit<br />

der Formierung der christlichen Rechten in den<br />

USA und der folgenden Konjunktur der Forschung<br />

zum Fundamentalismus Eingang in den<br />

sozialwissenschaftlichen ‚common sense‘ gefunden.<br />

Allerdings wird in vielen Analysen solcher<br />

<strong>Bewegungen</strong> die genuin religiöse Dimension<br />

immer noch unzureichend berücksichtigt<br />

oder gänzlich ausgeblendet. Anderes gilt für die<br />

sogenannten neuen religiösen <strong>Bewegungen</strong>.<br />

Bereits Zald und McCarthy haben jedoch darauf<br />

hingewiesen, dass die typische Perzeption<br />

neuer religiöser <strong>Bewegungen</strong> als weltabgewandte,<br />

auf den Bereich des Privaten fokussierte und<br />

allenfalls auf die Veränderung von Mitgliedern<br />

bzw. Individuen orientierte <strong>Bewegungen</strong> nicht<br />

den Tatsachen entspricht (Zald/Mccarthy 1987:<br />

69, 76). Vor allem der Umstand, dass sie zunehmend<br />

zum Gegenstand staatlicher Beobachtung<br />

und Regulierung sowie von religiösen und säkularen<br />

Gegenbewegungen werden, hat viele<br />

dieser neuen religiösen <strong>Bewegungen</strong> längst zu<br />

Akteuren auch in der politischen Arena mutieren<br />

lassen (vgl. Zald/Mccarthy 1987: 76-79).<br />

Diese Politisierung devianter Religiosität nimmt<br />

ebenso wie der Kreis der Betroffenen eher zu<br />

als ab. Bisher konzentrierte sich das Kontrollund<br />

Regulierungsinteresse auf wenige, im Zeitverlauf<br />

wechselnde <strong>Bewegungen</strong>, bei denen vor<br />

allem die Formen der Rekrutierung und Bindung<br />

von Mitgliedern als problematisch angesehen<br />

wurden. Heute erstrecken sich Skepsis<br />

und Regulierungsinteresse auch auf die Qualität<br />

der vielfältigen therapeutischen oder auf Hilfe<br />

zur Lebensbewältigung zielenden Angebote<br />

solcher <strong>Bewegungen</strong> (vgl. Süss, in diesem Heft).<br />

Anders als im ersten Diskurs stehen im zweiten<br />

weniger betroffene Eltern und etablierte Kirchen<br />

als vielmehr die Vertreter der Konkurrenz<br />

aus den Dienstleistungsprofessionen sowie eine<br />

Ulrich Willems<br />

Politik im Hintergrund solcher Forderungen,<br />

die sich durch einen protektiven Schutz von<br />

Konsumenten zu profilieren sucht.<br />

Zudem verfolgt eine Reihe dieser <strong>Bewegungen</strong><br />

explizit Ziele, die auf die Veränderung sozialer<br />

und politischer Zustände zielen (vgl. Robertson<br />

2003: 589-590), und sie verfolgen sie<br />

zum Teil mit den Mitteln konventioneller Politik<br />

(vgl. dazu Wieczorek, in diesem Heft). Häufiger<br />

jedoch operieren neue religiöse <strong>Bewegungen</strong><br />

auf der Basis einer anderen ‚Ontologie des<br />

Wandels‘ (Maurer 2002), also einer anderen<br />

Auffassung über die Funktionsweise sozialen<br />

Lebens und die Möglichkeiten ihrer Änderung.<br />

Während eine Strategie des Wandels, die auf die<br />

Veränderung von Lebensweisen und nicht auf<br />

die Veränderung von Institutionen oder Politiken<br />

setzt, noch aus dem Kontext neuer sozialer<br />

<strong>Bewegungen</strong> wie der Alternativbewegung oder<br />

von Teilen der Frauenbewegung vertraut ist, gilt<br />

dies nicht mehr für ein Transformationskonzept,<br />

das auf die Veränderung der ‚Herzen und<br />

Köpfe‘ von Individuen zielt und langfristig darauf<br />

setzt, dass sich der Prozess des Wandels in<br />

Form einer Strategie der Konversion fortpflanzt<br />

und so gesamtgesellschaftliche Wirkung zeitigt<br />

(Williams 2000).<br />

4.4 Religiöse Dimensionen sozialer<br />

<strong>Bewegungen</strong><br />

Ohne Zweifel rekrutieren sich einerseits – wenn<br />

auch in unterschiedlichem Maß – Teile der Führung<br />

wie der Mitgliedschaft sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />

aus religiösen Kontexten. Zweifelsohne ist<br />

auch das Engagement von einzelnen Mitgliedern<br />

religiös motiviert und operieren soziale<br />

<strong>Bewegungen</strong> in politisch-kulturellen Strukturen,<br />

die durch mehrheitsreligiöse Traditionen<br />

geprägt sind. Nimmt man andererseits jedoch<br />

die gemeinsame Praxis sowie die geteilte Ideologie<br />

sozialer <strong>Bewegungen</strong> in den Blick, findet<br />

sich dort in der Regel keines der Elemente, die<br />

gewöhnlich mit religiöser Praxis verbunden

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