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Vollversion (1.57 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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72<br />

sie die abnehmende Bedeutung religiöser Werte<br />

und will dem entgegenwirken. Sie propagiert<br />

Methoden der Selbsthilfe, wird aber auch politisch<br />

aktiv, wenn sich entsprechende Möglichkeiten<br />

bieten.<br />

3 Regulierung und Instrumentalisierung<br />

neuer religiöser <strong>Bewegungen</strong><br />

In den 1990er Jahren durchlebte Japan eine<br />

Phase politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher<br />

Umstrukturierung, in der sich auch<br />

das Verhältnis von Politik und religiösen <strong>Bewegungen</strong><br />

maßgeblich veränderte. Die politischen<br />

Machtverhältnisse änderten sich, die LDP musste<br />

Machtverluste hinnehmen, die Opposition<br />

gewann an Stärke. Als sich entsprechend Risse<br />

in der politischen Ordnung Japans zeigten, versuchten<br />

religiöse <strong>Bewegungen</strong> erneut, diese zum<br />

politischen Einfluss zu nutzen. So bot beispielsweise<br />

die Kôfuku no kagaku der LDP die Unterstützung<br />

mit Wählerstimmen an, gewann<br />

Politiker als Mitglieder und somit Bündnispartner<br />

in der politischen Elite (vgl. Astley 1995:<br />

374).<br />

Insbesondere zwei Ereignisse prägten das<br />

gesellschaftspolitische Klima Japans: Zum einen<br />

der am 20. März 1995 von der Aum verübte<br />

Giftgasanschlag auf die Tokyoter U-Bahn, bei<br />

dem zwölf Menschen ums Leben kamen und<br />

über 5.000 verletzt wurden. Zum anderen das<br />

von der LDP im Herbst 1999 geschlossene<br />

Regierungsbündnis mit der Neuen Kômeitô,<br />

hinter der die buddhistisch geprägte Religionsgemeinschaft<br />

Sôka Gakkai steht. Durch diese<br />

beiden Ereignisse trat zum ersten Mal in der<br />

japanischen Nachkriegsgeschichte die Frage<br />

nach einer angemessenen staatlichen Kontrolle<br />

bei gleichzeitiger Bewahrung der Religionsfreiheit<br />

in den Mittelpunkt öffentlicher Debatten.<br />

Nachdem durch die bis in die 1990er Jahre starren<br />

politischen Gelegenheitsstrukturen lediglich<br />

direkte politische Aktivitäten religiöser <strong>Bewegungen</strong><br />

eingeschränkt waren, sind seit dem At-<br />

tentat der Aum die Einflussmöglichkeiten religiöser<br />

<strong>Bewegungen</strong> generell durch direkte staatliche<br />

Kontrollmaßnahmen und ein anti-religiöses<br />

Klima reglementiert.<br />

3.1 Der Giftgasanschlag der Aum<br />

Shinrikyô<br />

Iris Wieczorek<br />

Der Giftgasanschlag hat in Japan ein Trauma<br />

ausgelöst, das bis heute nicht verarbeitet ist. Er<br />

hat zu erheblicher Verunsicherung und zu einem<br />

massiven Vertrauenseinbruch gegenüber<br />

dem staatlichen Apparat geführt. Die japanische<br />

Öffentlichkeit, tief schockiert über das Ausmaß<br />

der kriminellen Aktivitäten, versuchte zunächst,<br />

die Aum als nicht-japanisches Phänomen abzutun.<br />

Doch sie war in Japan entstanden und ihre<br />

10.000 Mitglieder waren Japaner. Zudem teilte<br />

Aum zahlreiche Charakteristika der neuen religiösen<br />

<strong>Bewegungen</strong>, und wurde in der wissenschaftlichen<br />

Diskussion wie in den Medien als<br />

eine typisch japanische religiöse Bewegung angesehen<br />

(Shimazono 2001).<br />

In der öffentlichen Auseinandersetzung wurden<br />

verschiedene soziale Missstände erstmals<br />

konkret thematisiert: die Unfähigkeit der etablierten<br />

Religionen, die spirituellen Bedürfnisse<br />

der japanischen Jugend zu befriedigen; das Versagen<br />

des Erziehungssystems, seinen Schülern<br />

die Fähigkeit zum analytischen Denken zu vermitteln;<br />

die japanische Arbeitsethik sowie die<br />

Zwänge des wenig flexiblen Arbeitssystems;<br />

die übermäßige Betonung des Materialismus in<br />

der japanischen Konsumgesellschaft. All dies<br />

habe laut Journalisten und Politikern ein spirituelles<br />

Vakuum in Japan hinterlassen und viele<br />

Jugendliche auf der Suche nach einer alternativen<br />

Lebensweise in die Hände von Manipulatoren<br />

wie Asahara, der sich selbst als Messias<br />

sah, getrieben. Der Giftgasanschlag wird bis<br />

heute mit einfachen Deprivationskonzepten<br />

(Unzufriedenheit mit der Gesellschaft, Gehirnwäsche<br />

und ein geistesgestörter Gründer, Asahara)<br />

erklärt, die das religiöse, politische und

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