29.12.2013 Aufrufe

89. Sitzung - Bayerischer Landtag

89. Sitzung - Bayerischer Landtag

89. Sitzung - Bayerischer Landtag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

6398 <strong>Bayerischer</strong> <strong>Landtag</strong> · 14.Wahlperiode Plenarprotokoll 14/89 v. 15.05.2002<br />

nachzulesen. In einigen Artikeln ist genau dieser staatliche<br />

Auftrag festgelegt. Es ist elementare Bringschuld<br />

des Staates, für die Bildung unserer Bevölkerung in Bayern<br />

zu sorgen.<br />

Wir sehen durch diese Orientierungsarbeiten folgende<br />

Probleme verschärft auf die Grundschulkinder zukommen.<br />

Tatsächlich ist es so, dass bis zum Ende der zweiten<br />

Jahrgangsstufe keine Noten vergeben werden. Jetzt<br />

sollen die Orientierungsarbeiten zunächst freiwillig – freiwillig<br />

heißt im Schulbetrieb in Bayern, dass kein unmittelbarer<br />

Zwang auf die Leute ausgeübt wird – in der dritten<br />

Jahrgangsstufe durchgeführt werden. Das ist aber nichts<br />

anderes als ein Test, jeweils eine Schulstunde lang, in<br />

Deutsch und Mathematik. Die Schülerinnen und Schüler<br />

und auch die Lehrerinnen und Lehrer wissen genau, was<br />

dabei auf sie zukommt. Diese Tests werden jetzt schon<br />

an den Grundschulen vorbereitet. In den Klassen – Sie<br />

können sich gerne erkundigen – wird im Unterricht schon<br />

darauf hingearbeitet. Wir stellen ohnehin fest, dass an<br />

unseren Schulen oft von Test zu Test gelernt wird. Das<br />

wird in Zukunft eine weitere Stufe sein, auf der nur auf<br />

einen Test hin gelernt und gebüffelt werden soll.<br />

Die Kinder an den Grundschulen wissen genau, dass<br />

dies einer weiteren Auslese dienen wird, wenn auch<br />

momentan noch keine Noten vergeben werden. Wenn<br />

auch momentan noch die Schule selbst die Korrekturarbeiten<br />

durchführen kann, so ist die Befürchtung groß,<br />

dass sich dies in absehbarer Zeit ändern wird, ähnlich<br />

wie beim Zentralabitur, das vom Staat nicht nur vorgegeben,<br />

sondern auch kontrolliert wird und auch dazu dient<br />

– auch das ist von Ihrer Seite schon angekündigt worden<br />

–, die Lehrerinnen und Lehrer bei uns in Bayern<br />

stärker zu kontrollieren und noch stärker dirigieren zu<br />

können, als das bisher der Fall ist. Auch diesen Punkt<br />

lehnen wir ganz kategorisch ab. Wir halten das für unnötig.<br />

Wir brauchen Schulen, die mehr Demokratie aufweisen.<br />

Ihr Ansatz dient nicht der Demokratisierung unserer<br />

Schulen; er führt zum genauen Gegenteil.<br />

Wir sehen auch, dass Sie wohl Recht damit haben werden,<br />

dass diese Tests von den Lehrerinnen und Lehrern<br />

angenommen werden. Dies liegt eben auch daran, dass<br />

die Lehrer extrem verunsichert sind. Sie leiden unter der<br />

neuen dienstlichen Beurteilung. Sie sehen, dass sie<br />

extrem ungerecht ist. Viele Lehrerinnen und Lehrer versprechen<br />

sich demgegenüber von diesen Orientierungsarbeiten<br />

eine Art Objektivierung der Bewertung ihrer<br />

Arbeit. Auch da, glaube ich, sind sie auf dem Holzweg.<br />

Dies wird in absehbarer Zeit dazu führen, dass das Ranking<br />

auch bei den Lehrern verstärkt wird und damit eine<br />

Art Kontrolle und Beurteilung stattfinden wird. Wir lehnen<br />

diese zusätzliche Beurteilung strikt ab.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Wir sehen im Zusammenhang mit der Pisa-Studie, dass<br />

es in jenen Ländern, die uns hinsichtlich der Schulergebnisse<br />

ihrer Schülerinnen und Schüler weit voraus sind,<br />

bis mindestens zur sechsten Jahrgangsstufe überhaupt<br />

keine Benotungen gibt. Erst später, in Finnland etwa<br />

nach neun Jahren, werden dann Zugangsarbeiten für<br />

weiterführende Schulen geschrieben. Ich glaube, das<br />

wäre der richtige Weg, um das zu schaffen, was gestern<br />

Herr Glück, der Fraktionsvorsitzende der CSU, eingefordert<br />

hat: mehr Eigenverantwortlichkeit zu stärken, in<br />

unseren Schulen mehr Pädagogik vom Kinde aus zu<br />

betreiben. Ich habe gedacht, ich sei in einer Vorlesung<br />

über Reformpädagogik gelandet, als er diese Vorstellungen<br />

über Kindgemäßheit entwickelt hat. Mit diesen Orientierungsarbeiten<br />

wird aber genau das Gegenteil<br />

erreicht. Es wird über einen Kamm geschoren werden,<br />

damit wird Gleichmacherei betrieben, den Kindern wird<br />

Angst vor diesen zusätzlichen Arbeiten eingeimpft, die in<br />

der Grundschule auf sie einströmen werden. Das ist<br />

genau das Gegenteil einer kindgerechten, an den<br />

Bedürfnissen der Kinder orientierten Arbeit in der Grundschule.<br />

Sie sollten von diesem Irrweg abkommen. Wir von Seiten<br />

der SPD haben dagegen gesagt, dass wir es schaffen<br />

müssen, in der Grundschule bei der Diagnostik<br />

voranzukommen, möglichst schon im Kindergarten<br />

damit anzufangen. Es wäre den Einsatz der Edlen von<br />

Seiten der CSU wert, diesbezüglich wesentlich mehr zu<br />

tun. Die Schule muss dahin kommen, dass das<br />

Gespräch nicht nur zwischen Schülern und Lehrern, wie<br />

das jetzt im Zusammenhang mit den Ereignissen in<br />

Erfurt gefordert wird, sondern gerade auch zwischen<br />

Lehrern und Eltern verstärkt wird. Dort muss der Kontakt<br />

enger geschlossen werden. Dies ist im Übrigen in den<br />

Pisa-Spitzenländern der Fall; dort besteht quasi ein ständiger<br />

Austausch zwischen Eltern und Lehrern. Diesbezüglich<br />

müssen wir vorankommen, auch über die Änderungen<br />

beim Schulforum, damit von Seiten der Eltern<br />

von vornherein mehr Mitsprachemöglichkeiten bestehen.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Auch dies ist eine Forderung, die wir bitten zu unterstützen.<br />

Wenn dieser Kontakt eng genug ist, dann brauchen<br />

wir diese Orientierungsarbeiten nicht, weil die Eltern<br />

dann von den Lehrern über den Lernfortschritt ständig<br />

auf dem Laufenden gehalten werden. Das ermöglicht<br />

einen kontinuierlichen Überblick über den Lernfortschritt.<br />

Wir fordern auch, dass die Schulen endlich in die Selbstverantwortung<br />

entlassen werden. Ich darf Sie von Seiten<br />

der CSU daran erinnern, dass dies Worte des ehemaligen<br />

Bundespräsidenten sind, der zum Abschluss seiner<br />

großen Bildungsrede gesagt hat: Entlassen wir die<br />

Schule endlich in die Freiheit. Dem wollen Sie mit diesen<br />

Orientierungsarbeiten aber einen weiteren Riegel vorschieben.<br />

Das ist kontraproduktiv, das passt nicht in die<br />

pädagogische Landschaft, auch nicht in Bayern. Wir<br />

brauchen mehr Freiheit für die Schulen, für die Kinder<br />

mehr Selbsttätigkeit, mehr Eigenverantwortlichkeit. Wir<br />

brauchen für Lehrer mehr Gestaltungsspielräume. Wir<br />

brauchen bessere Rahmenbedingungen.<br />

Auch dazu dient dieses Vorhaben mit den Orientierungsarbeiten<br />

in keiner Weise.<br />

Wenn Sie uns in absehbarer Zeit einen einzigen Schüler<br />

zeigen können, der durch diese Orientierungsarbeiten<br />

besser geworden ist oder mehr für seinen Lebensweg<br />

mitbekommen hat, sind wir gern bereit, mit Ihnen darüber<br />

erneut zu diskutieren. Dies gilt auch, wenn Sie uns

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!