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handreichung zum lehrplan leistungskurs philosophie

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Entstehung des Alls“ (Aristoteles: Metaphysik, Buch<br />

I, Kapitel 2). Ziel des durch das Staunen aus gelösten<br />

Fragens ist das Wissen von „den ersten Prinzipien und<br />

Ursachen“ des Seins.<br />

Den hohen Stellenwert behält das Staunen bis in<br />

die moderne Philosophie. Ernst Bloch <strong>zum</strong> Beispiel<br />

bringt in der Tübinger Einleitung in die Philosophie I<br />

im Abschnitt Das fragende Stau nen das im Kindesalter<br />

beginnende Staunen mit der „Kinderfrage“ in Zusammenhang<br />

„Wa rum ist etwas und nicht nichts?“ – für<br />

Heidegger die Grundfrage der Metaphysik. Andere<br />

Fragen, die Ernst Bloch erwähnt, sind <strong>zum</strong> Beispiel:<br />

„Was ist die Zeit?“ oder die dem Staunen darüber,<br />

dass es regnet, entspringende „Frage: wie entsteht<br />

Regen?“. Man möchte als Le ser von Blochs Ausführungen<br />

<strong>zum</strong> kindlichen Fragen die Kinderfragen aus<br />

Peter Handkes Lied Vom Kindsein hinzufügen: „Wo<br />

endet der Raum? Ist das Leben unter der Sonne nicht<br />

bloß ein Traum?“. Diese Kinderfragen sind für Bloch<br />

„Grundfragen der Existenz selber“. Bloch bringt das<br />

„fra gende Staunen“ in Zusammen hang mit der Sprachlosigkeit,<br />

die den staunenden Menschen überfallen<br />

kann, und dem klassi schen Dokument von Sprachlosigkeit<br />

und Sprachkrise, dem Chandos-Brief Hugo von<br />

Hof mannsthals. Nach Bloch erliegt Lord Chandos<br />

dem Staunen über die unscheinbaren Dinge. Folge<br />

davon ist die Unfähigkeit von Lord Chandos, die abstrakten<br />

Begriffe zu benutzen, diese zerfallen ihm „im<br />

Munde wie modrige Pilze“. Für Bloch rührt die Sprachkrise<br />

von Lord Chandos daher, dass im „sprachlich<br />

übereilten und verabre deten Fortgang“ der Rede „das<br />

Staunen unter schlagen wird“. Die Existenz<strong>philosophie</strong><br />

von Karl Jaspers verbindet den Ursprung der Philosophie<br />

mit dem Begriff der Grenzsituation. Grenzsituationen<br />

versteht Jaspers als „Situationen, über die wir<br />

nicht hinauskommen“ und die die „Grenze“ von Dasein<br />

offenbaren, also Situationen wie <strong>zum</strong> Beispiel Leid<br />

oder die Erfahrung von Schuld. In ihnen erfährt sich<br />

die Existenz als Existenz, die für Jaspers im Akt eigentlicher<br />

Kommunikation auf andere Existenz ausgerichtet<br />

ist. „So gilt: der Ursprung der Philosophie liegt zwar<br />

im Sichverwundern, im Zweifel, in der Erfah rung der<br />

Grenzsituation, aber zuletzt dieses alles in sich schließend,<br />

in dem Willen zur eigent lichen Kommunikation“<br />

(Karl Jaspers: Was ist Philosophie?).<br />

Denker wie Max Scheler (Die Stellung des Men schen<br />

im Kosmos) und Martin Heidegger (Was ist Metaphysik?)<br />

stellen einen Zusammen hang her zwischen<br />

der Erfahrung des Nichts und der Erfahrung des Seins.<br />

Nach Scheler folgt aus dem Gefühl des „Erschauerns“<br />

vor dem Nichts eine Demutshaltung, die sich in bejahender<br />

Weise mit dem Sein verbunden fühlt. Nach<br />

Heidegger kennzeichnet der zentrale Begriff der Angst<br />

diejenige Stimmung, die das Nichts im Grunde des<br />

Daseins of fenbart. Im 1943 erstmals veröffentlichten<br />

Nachwort zur Antrittsvorlesung schreibt Heidegger:<br />

„Die Be reitschaft zur Angst ist das Ja zur Inständigkeit,<br />

den höchsten Anspruch zu erfüllen, von dem allein das<br />

Wesen des Menschen getroffen ist. Einzig der Mensch<br />

unter allem Seienden erfährt, angerufen von der Stimme<br />

des Seins, das Wunder aller Wunder: dass Seiendes<br />

ist.“ Nach den Ausführungen in Sein und Zeit gewinnt<br />

das Dasein dadurch, dass es sich als ein „Sein <strong>zum</strong><br />

Tode“ versteht, seine „Eigentlichkeit“, die Voraussetzung<br />

ist für die Offenheit des Seins (Martin<br />

Heidegger: Sein und Zeit).<br />

„Irren mag menschlich sein, aber Zweifeln ist menschlicher,<br />

indem es gegen das Irren an geht, das ausruht“,<br />

schreibt Bloch in der Tübinger Einleitung in die<br />

Philosophie I (Zweifel an den Sin nen und Gedanken).<br />

Für Bloch liegt der Wert des zweifelnden Misstrauens<br />

darin begründet, dass es „mit dem Tabu bisherig-fester<br />

Meinungen“ bricht. Fruchtbar für den Er kenntnisfortschritt<br />

in Wissenschaft und Philosophie ist nach<br />

Bloch das „methodische Zwei feln“, das „am fragwür<br />

dig Geschehenen neues Frag-Würdiges entdeckt“,<br />

nicht der radikale Zweifel, der in lähmender Skepsis<br />

oder Nihilismus mündet. Als Prototyp des methodischen<br />

Zweifelns gilt Bloch der „carte sianische Rat<br />

des fruchtbaren Zweifelns an allem, um desto wahrer<br />

daraus aufzutauchen“. Auch wenn der cartesianische<br />

Zweifel, der in der Ersten Me ditation geschildert<br />

wird, existenzielle Un ruhe <strong>zum</strong> Ausdruck bringt, so<br />

ist doch das erklärte Ziel die Etablierung von Gewissheit,<br />

mit der das Fundament gelegt werden kann für<br />

wissen schaftliche Erkenntnis, wie der erste Satz des<br />

Textes programmatisch artikuliert: „Schon vor Jahren<br />

bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als<br />

wahr hingenommen habe und wie zweifelhaft alles<br />

sei, was ich später darauf gründete; darum war ich der<br />

Meinung, ich müsse einmal im Leben von Grund auf<br />

alles um stürzen und von den ersten Grundlagen an ganz<br />

neu anfangen, wenn ich später einmal etwas Festes und<br />

Bleibendes in den Wis senschaften errichten wollte.“<br />

8<br />

Einführung in die Philosophie

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